Albert Einstein, der große Welterklärer, sagte, dass sich Erstaunen stets dann einstellt, wenn die Wahrnehmung in Konflikt mit den akzeptierten Begriffen gerät. Wenn also altvertraute Denkgewohnheiten und Sprachkonventionen erschüttert werden. Ein wunderbares Beispiel ist Lewis Carrolls „Alice im Wunderland“.
Alices Wunderwelt ist ein Ort, an dem alles leicht verschoben ist. Die durchaus zivilisierten, aber seltsamen Wesen, denen das Mädchen begegnet, verfolgen ihre Aufgaben mit strenger Folgerichtigkeit. Alles stimmt, außer den Koordinaten. Und damit gar nichts. Eine Anarchie, die gleichermaßen fasziniert und verunsichert. Die wundersame Welt, in die Alice gerät, ist ein einziges Hinterfragen all unserer sicher geglaubten Erkenntnisse. Und das ist überraschend. Ordnungskategorien wie Zeit und Raum, Moral, Rationalität, Identität, Kommunikation und Hierarchien zwischen Mensch, Tier und Ding werden aufgehoben. Somit ist „Alice im Wunderland“ bereits in sich Dekonstruktion, also postmodern, und bietet sich geradezu als Steinbruch an.
Was Wunder, dass die irre Geschichte immer wieder inszeniert, verfilmt, bearbeitet und zitiert wurde und wird, von Tim Burton bis Robert Wilson und Tom Waits, von John Lennon bis Peter Zadek, von Avril Lavigne bis zu den Tiger Lillies. Nun hat sich auch das international und interdisziplinär arbeitende Berliner post theater von dem fantastischen Klassiker inspirieren lassen.
In „I in Wonderland“ führt die stets multimedial arbeitende Gruppe jeweils acht Zuschauer gleichzeitig durch einen Parcours, der neben „Alice im Wunderland“ auch durch „The Wizard of Oz“ und andere Fantasiewelten inspiriert ist. Über fünf Stationen mit ungewöhnlichen Filmprojektionen und Live-Performances geht es eine Stunde lang durch eine verrückte Bilderwelt, die für Kinder wie für Erwachsene gleichermaßen ein irritierend-wundersames Erlebnis ist. Man begegnet dem Maulwurf Max auf seiner Reise um die Welt in 80 Tagen, trifft den wilden Matz, der von seiner Badewanne aus in die Südsee reisen muss, und auf eigenartige Gestalten wie den Fischkopf Mr. Chips und Henry The Horse.
Das surreale Geschehen entzieht sich Kategorisierungen wie Kinder- oder Erwachsenentheater, weshalb die Gruppe um die japanische Medienkünstlerin Hiroko Tanahashi und den deutschen Regisseur und Dramaturgen Max Schumacher ihr begehbares Bilderbuch auch nicht mit einem dieser Alterslabel versehen möchte. Geeignet sei es für „Menschen jeden Alters ab 6 Jahren“, heißt es. Der Parcours mit den surrealen Geschichten hält eben (wie ja auch „Alice im Wunderland“) für jeden etwas bereit. Für Kinder – die hier in eine fantastische Unsinns-Gegenwelt eintauchen können – wie für Erwachsene, denen das Spiel mit Logik, Zitaten und heterogenem Raum gefallen wird.
Seit ihrer Gründung hat die sich zwischen den Genres Tanz, Theater, Installation und Medienkunst bewegende Gruppe über 50 Produktionen in rund 40 Städten und 20 Ländern vorgestellt. „I in Wonderland“ wurde 2012 im Wilhelmspalais Stuttgart uraufgeführt und kommt jetzt endlich auch in die Heimatstadt des post theaters.
„Automatisiertes Theater“ nennt Hiroko Tanahashi, die inzwischen selbst Mutter zweier Kinder ist, diese Art von Theaterinstallation, in der der Zuschauer zum Teil des Geschehens wird. Das Prinzip ist dem kommerzieller Themenparks wie Universal Studios oder Disney World ähnlich, wo Menschen in Filmszenen nachempfundenen Panoramen interagieren. Doch das post theater folgt mit seinem Konzept eher dem Modell des Theaterrevolutionärs Richard Schechner: Ein lebendes Theater müsse aktive Live-Prozesse, Risiko, Austausch und Animation enthalten sowie organisch genutzte Räume. So wie in dem ungewöhnlichen Multimedia-Parcours des post theaters im Theaterdiscounter voller illustrierter Trickfilm-Figuren auf ihrer Reise ins Ungewisse.
13.3., 20.3., 18 Uhr, 18.30 Uhr, 19 Uhr, 14.3., 15.3., 21./22.3., alle halbe Stunde von 11-18 Uhr, Theaterdiscounter.
Regie: Hiroko Tanahashi, Max Schumacher; mit Johanna Diekmeyer, Matthias Horn, Ilka Teichmüller.
Eintritt 10, bis 14 Jahre 5 Euro