200 Gramm Schreck

Angst vor dem E-Book

Das elektronische Buch wird den Buchmarkt massiv verändern.
Berliner Verlage und Händler sind auf der Suche nach Überlebensstrategien

Schwarze und weiße Mikrokapseln springen unter einer Plastikoberfläche hin und her. In einer transparenten, öligen Flüssigkeit schwimmend, ordnen sie sich zu Buchstaben und die Buchstaben fügen sich zu einem Text: Thomas Manns „Zauberberg“ entfaltet sich auf dem knapp Din-A4-großen Plastiktäfelchen. Ein kleiner Stromstoß und zack, die nächste Seite wird geladen.Nur 200 Gramm wiegt dieser E-Reader. Bis zu 3.000 Bücher lassen sich darauf speichern. Die fehlende Hintergrundbeleuchtung schont die Augen, durch den geringen Stromverbrauch kann man 10.000 Seiten lesen, ohne den Akku zu laden. Und der Download des E-Books auf den Reader dauert per W-Lan nur wenige Sekunden.
Noch macht in Deutschland der E-Book-Verkauf nur ein Prozent des Umsatzes im Buchhandel aus, 2015 aber sollen es nach Schätzungen der Gesellschaft für Konsumforschung und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels zehn Prozent sein. In den USA sind es bereits 20 Prozent. Im vergangenen Jahr hatten die Lesegeräte von Amazon, Weltbild oder Kobo einen um ein Vielfaches gesteigerten Absatz.
Wenn das E-Book in den nächsten Jahren den deutschen Markt erobert, werden es vor allem kleine Buchhandlungen schwer haben. Der E-Book-Markt wird von Sony und Amazon mit dem Kindle-Reader dominiert. Dazu kommt die Konkurrenz durch die Berliner Internet-Startups txtr und textunes, die beide E-Books über das Internet vertreiben und so den Buchhandel überflüssig machen könnten.
Wer einen Kindle-Reader besitzt, bekommt E-Books in guter Auflösung nur bei amazon im firmeneigenen Kindle-Format azw. Wer einen Sony-Reader hat, kann die E-Books  im mittlerweile gängigsten Format, ePub, auch in kleinen Buchhandlungen erwerben. An den wenigen digitalen Büchern aber, die dort verkauft werden, verdienen die Läden erheblich weniger als am Printprodukt. Der deutschlandweit führende Buch-Großhändler Koch, Neff und Volckmar bietet ihnen 20 Prozent des Verkaufspreises. Bei Papierausgaben bekommen sie im Schnitt 30 Prozent.

Auch auf die kleinen Verlage kommen harte Zeiten zu. Der Aufwand, alle Neuheiten auch als E-Book anzubieten, sei für sie nicht tragbar, sagt Detlef Bluhm vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels. „Noch rennen einem die Kunden ja nicht die digitale Tür ein“, sagt er.  Jörg Sundermeier, 41, vom Kreuzberger Verbrecher Verlag, der sich seit 16 Jahren für linke, subkulturnahe Literatur einsetzt, kann die Zahl der E-Books, die sein Verlag produziert hat, genau beziffern: Eins. Nur Jens Friebes „52 Wochenenden“ gibt es bisher zum Download für das iPhone. Das Problem ist der Preis. „E-Books sind einfach noch zu teuer“, sagt er. 
E-Books sind preisgebunden wie alle anderen Bücher im deutschen Buchhandel auch. Üblicherweise sind sie etwa 15 bis 20 Prozent günstiger als die gedruckte Ausgabe. Immerhin entfallen ja die Papierkosten. Aber der Vertrieb muss sich trotzdem für Autor, Verlag und Buchhandel rentieren. 
Ein Mittel, um den Preis erträglicher zu machen, wäre ein Ausleihmodell. „Das wird dieses Jahr ein heißes Thema“, prognostiziert Jürgen Harth vom Arbeitskreis elektronisches Publizieren. Dabei liehe man sich die elektronischen Bücher für ein, zwei Monate über „libreka“, die Plattform des Börsenvereins und würde deutlich weniger zahlen. Nach Ablauf der Leihfrist würde das E-Book gelöscht. Das Ausleihen ist aber immer noch teurer, als der illegale Download. Dem Buchhandel droht das Schicksal der Musikindustrie – die Plünderung durch Piraten. Jakob Karsten war lange im Musikgeschäft tätig, jetzt macht er in Büchern, doch die Angst vor den Freibeutern lässt dem 37-jährigen auch hier keine Ruhe. „Ich hoffe, ich habe die richtigen Lehren gezogen“, sagt er. Karsten, seit 2010 Leiter des in Mitte ansässigen Traditionsverlages Rogner & Bernhard, bringt Buch und Datei gemeinsam auf den Markt. Wer das Hardcover kauft, bekommt einen Download-Code für den E-Reader gratis dazu. „Wir wollten die, die einen Reader haben, nicht außen vor lassen“, sagt Karsten. Aber grundsätzlich pflege sein Verlag ein ästhetisches Interesse an Büchern. Gut aussehen sollen sie, „und das kann eine Datei einfach nicht.“

 

E-BOOKS

– bekommt man bei den Berliner Internet-Startups txtr und textunes: www.txtr.com / www.textunes.com.

 

– Beratung zum E-Book-Kauf gibt es bei Buchhandlung Starick (Breite Str. 36, Wilmersdorf), Heinrich-Heine-Buchhandlung (Weinbergsweg 3, Mitte), Anagramm (Mehringdamm 50, Kreuzberg), Kisch & Co. (Oranienstr. 25, Kreuzberg), Die Insel (Greifswalder Str. 41/42, Prenzlauer Berg) und vielen mehr.

 

– Unter www.voebb24.de können Mitglieder des Verbunds Öffentlicher Bibliotheken Berlin kostenlos die E-Book-Version von 6.000 Sachbüchern, 3.000 Lernmedien und 500 Titeln aus dem Bereich der Belletristik ausleihen.  Nach sieben Tagen werden die Dateien unbrauchbar.