Auf gute Nachbarschaft

Der Sozialfall

Der Sozialfall

Er verlässt nur einmal die Woche die Wohnung, um seinen Vorrat an Schnaps und Bier aufzustocken. Doch die Chance, ihn dann zu treffen, ist groß. Denn er braucht gefühlt eine Stunde für den Weg bis zur Eingangstür. Schleichend und tief gebeugt setzt er Schritt an Schritt, sich dabei am Geländer festhaltend, als würde er das Laufen gerade erst erlernen. Ihn dabei zu überholen wie Usain Bolt einen deutschen Sprinter verursacht regelmäßig Bauchschmerzen. Müsste man ihm nicht Hilfe anbieten, zumindest ein Gespräch anfangen? Aber man ist ja spät dran, auf dem Weg zu einem überaus wichtigen Termin beim Geschäftspartner – oder beim Friseur. Und überhaupt: Wozu gibt es Pflegedienste? Deshalb ist man froh, wenn sich der halbblinde und alkoholkranke Greis den Rest der Woche in seinen Räumen versteckt und nicht durch Präsenz schlechtes Gewissen verbreitet. Nur wenn er zu lange nicht gesehen wurde und es aus seiner Wohnung zu müffeln beginnt,­ beschleicht einen ein unangenehmes Gefühl. Man steht dann an seiner Tür und horcht eine Weile. Fast möchte man klingeln, um sicherzustellen, dass es ihm gut geht. Fast.

Möglicher Mitbewohner: Das Phantom
Sicherer Auszugsgrund: Tod durch Leberversagen