Eine Selbstsuche zwischen den Geschlechtern mit maximal berlinischen Szenen

Ezra tingelt gerne durch Sexclubs, vorzugsweise mit seiner besten Freundin, Schreckschraube Cat, die ihren Nazi-Fashion-Fetisch kultiviert. Die beiden US-Expats machen sich auf nach Schöneberg, „wo Isherwood schrieb und Poppers in der Luft liegt“. Dort landen sie in einer Stricherbar mit Laserlicht. Während sich Cat von zwei Gay-for-Pay-Jungs umgarnen lässt, entdeckt Ezra den sensiblen Escort Sasha aus Russland für sich. Die zwei schwirren auf Droge durch die Regennacht, um die frühe Sonne am See zu erhaschen, wo sie zwischen den Schwänen planschen.
Die Wiedersehen bleiben nicht so unbeschwert: Während Ezra vor sich hintreibt und sich mit Philosophie-Plattitüden begnügt, merkt Sasha (grandios: Tim-Fabian Hoffmann) bald, wo er hinwill, denn er versteht sich als Frau.
Oft will das queere Gegenwartskino (von „Stonewall“ bis „The Danish Girl“) es dem großen Publikum zu einfach machen mit Figuren, die hetero-gemäß große Identifikationsflächen bieten: die neue Homonormativität. Diese Berliner Low-Budget-Produktion aber fährt wirkliche Queers auf. Vielen begegnet Sasha auf seiner Selbstsuche an legendären Berliner Underground-Adressen: im Kreuzberger Roses, im Neuköllner Silver Future oder im Garten des about blank in Friedrichshain und, klar, auch vor dem Berghain. Peaches singt deutsch, mit zwei Dutzend umgehängten Plüschtitten; Nina Hagen musiziert als Wahrsagerin im Wohnwagen gegen „homophobe Obstkuchen“. Die prominenten Cameos sind Hingucker, aber noch stärker wirken die Statements der authentischen Transmenschen nach, die Sasha auf seinem/ihrem Weg bestärken – maximal berlinische Szenen voller satter Knallfarben.
Die Dramödie erzählt, perfekt verdichtet und in zauberschön fotografierten Bildern, von Berliner Menschen in der Transition. Und damit ist nicht bloß das Schillern an den konventionellen Geschlechtergrenzen gemeint – sondern auch die Entwicklung vieler anderer Menschen. Weg davon, sich von sich selber abzulenken, zu zerstreuen, dorthin, wo man wirklich bei sich selbst ist. Weil er diese Sehnsucht einfängt wie kein anderer, dürfte „Desire Will Set You Free“ der Berlin-Film des Jahres werden.
D 2016, 92 Min., R: Yony Leyser, D: Tim-Fabian Hoffmann, Yony Leyser, Chloe Griffin
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