Familie

Die Hebammen-Krise

Einer der ältesten Berufe der Welt droht auszusterben – weil die Krankenkassen sich stur stellen und die Politik nicht reagiert. Berliner Eltern konkurrieren um die wenigen Geburtshelferinnen, die noch übrig sind

Katharina Becks Tage sind lang. Um acht Uhr beginnt die 47-Jährige in ihrer Praxis in Weißensee mit Schwangerenuntersuchungen und Geburtsvorbereitungskursen, ab mittags besucht sie Neugeborene und ihre Mütter, schaut, prüft, rät, tröstet. Am frühen Abend kommt sie nach Hause, dort warten der Bürokram, die Abrechnungen, die Mail-Anfragen. „Wenn ich abends ins Bett gehe, bin ich oft froh, dass ich nachts nicht mehr angerufen werde – weil wieder eine Geburt losgeht.“

Katharina Beck ist Hebamme, doch sie betreut, wie zahlreiche ihrer Kolleginnen, keine Geburten mehr. Nicht etwa, weil sie diesen Teil ihres Berufes nicht liebt, im Gegenteil. Aber die Geburtshilfe, eigentlich der Kernbereich ihrer Arbeit, kann sie sich längst nicht mehr leisten. Schon vor knapp zwei Jahren hatte der Deutsche Hebammenverband auf die desolate finanzielle Situation der Hebammen aufmerksam gemacht. Damals unterschrieben 300.000 Menschen eine Petition, in der die Bundesregierung aufgefordert wurde, „die wohnortnahe Versorgung aller Frauen in Deutschland weiter zu gewährleisten.“ Es war die Petition mit den meisten Unterschriften in der Geschichte der Bundesrepublik. Politisch passiert ist seitdem: nichts.

Das Problem der Hebammen ist komplex, es hat nicht nur mit schlechter Bezahlung und hoher Arbeitsbelastung zu tun. Rund 750 Berliner Frauen arbeiten in diesem Beruf, die meisten davon freiberuflich. Um sich gegen Komplikationen bei der Geburt abzusichern, brauchen sie eine Berufshaftpflichtversicherung. Die jährlichen Kosten dafür sind in den vergangenen Jahren exorbitant gestiegen: von 2.300 Euro im Jahr 2009 auf 3.700 Euro im Sommer 2010. Im Juli 2012 steht die nächste Erhöhung an – auf über 4.200 Euro.

Die Hebammen müssen diese Beträge aus ihren Einnahmen bestreiten und das ist quasi unmöglich. Das durchschnittliche Jahreseinkommen einer freiberuflichen Hebamme liegt, so schätzt der Bundesverband, bei rund 14.000 Euro. „Im Geburtshaus bekommt eine Hebamme 467,20 Euro pro Niederkunft“, erklärt Susanna Rinne-Wolf, Vorsitzende des Berliner Hebammenverbandes. „Freiberufliche Beleghebammen in einer Klinik, die den gleichen Zeitaufwand haben, bekommen nur die Hälfte.“ Allein, um ihre Berufshaftpflicht zahlen zu können, müsste eine Beleghebamme 18 Geburten im Jahr begleiten. „Aber nur maximal vier Geburten im Monat kann man wegen der wochenlangen Rufbereitschaften annehmen“, sagt Katharina Beck.

Theoretisch gäbe es eine Lösung: 30 Prozent mehr Honorar für Hebammenleistungen fordert der Verband von den Krankenkassen. Die stellen sich stur. „Zuletzt haben sie uns 1,98 Prozent mehr angeboten, das entspricht einer Anhebung unseres Stundenlohnes von 7,50 auf 7,65 Euro“, sagt Rinne-Wolf.

Die Berliner Eltern bekommen bereits deutlich zu spüren, dass in den letzten Jahren viele Hebammen notgedrungen die Geburtshilfe aufgegeben haben. „Hebammen, die Hausgeburten betreuen, gibt es fast nicht mehr“, berichtet Rinne-Wolf. Auch die Geburtshäuser bangen um ihre Zukunft, viele halten sich hauptsächlich mit Kursangeboten über Wasser. Die Eltern, sagt Rinne-Wolf, seien deshalb zum Teil so verzweifelt, dass sie den Hebammen sogar Geld für die Versicherung anbieten.

Katharina Beck, die in den letzten 23 Jahren rund 600 Neugeborene in den Armen gehalten hat, empfindet die Situation als deprimierend und entmutigend. „Wir haben keine Lobby“, sagt sie, „und es scheint niemanden zu kümmern, dass unser Beruf gerade systematisch kaputtgespart wird.“