»Es ist wie ein Gottesdienst«

Die Märchenhütte

Die Märchenhütte im Monbijoupark expandiert: Inzwischen hat die dritte Spielstätte des Theaters eröffnet. Regisseur Jan Zimmermann erklärt, warum auch Erwachsene von den Gebrüdern Grimm nie genug kriegen
Interview: Friedhelm Teicke

Herr Zimmermann, Ihre Märchenhütte war für Kinder gedacht. Nun inszenieren Sie auch für Erwachsene. Wie kam es dazu?
Zuerst besuchten Kinder mit ihren Eltern als Begleitung die Nachmittagsvorstellungen, dann kamen die Eltern auch ohne Kinder. Und schließlich drängte uns die wachsende Nachfrage dahin, auch Abendvorstellungen für Erwachsene anzusetzen. Vor ein paar Tagen saßen in einer Nachmittagsvorstellung sieben Kinder – und 93 Erwachsene.

Sie inszenieren ausschließlich Grimms Märchen. Was macht deren Reiz aus?
Es ist wie ein Gottesdienst mit sehr alten heiligen Geschichten. Man verniedlicht sie gemeinhin als Kinderliteratur, zu Unrecht. Es sind mitunter gräuliche Dinge, die den Kindern zum Einschlafen verabreicht werden. Da werden Hexen verbrannt, Wölfen wird der Bauch aufgeschnitten und mit Steinen gefüllt.

Sie haben inzwischen Märchen nur für Erwachsene inszeniert.
Ja, den „Machandelbaum“ haben meine Kinder nie gesehen, werden sie auch nicht. Das ist ab 18 Jahren bei uns, ebenso wie das neue Stück „Gevatter Tod“. Bei anderen, wie „Aschenbrödel“, haben wir eine Kinder- und eine Erwachsenenvariante.

Wie erklären Sie sich die Faszination der Märchen auf Erwachsene?
Ich denke, es liegt an der Echtheit der Märchen. Sie wurden nicht von irgendeinem Dichter erfunden, sondern sie transportieren das Volksgut von tausenden von Jahren, mündlich tradiert von Generation zu Generation, bis die Brüder Grimm sie vor 200 Jahren dankenswerterweise gesammelt und niedergeschrieben haben. Das hat auf Erwachsene eine magische Wirkung. Natürlich lachen die in meinen Inszenierungen, aber es ist ein befreiendes Lachen, über etwas, was in ihnen große Ängste, Ahnungen oder Hoffnungen erregt.

Hat die Wirkung auf Erwachsene nicht auch damit zu tun, dass diese gute alte Märchenwelt eine seit der Kindheit vertraute und überschaubare Struktur ist, während die reale Welt so komplex geworden ist?
Ja, mag sein, dass die Märchenhütte da eine Sehnsucht erfüllt. Aber die Ängste – wie jetzt die Euro- und Finanzkrise, die Unsicherheit, wie das nächstes Jahr weitergehen wird, – sind neu und doch uralt. Nur wie die Angst in Grimms Märchen aufgerufen und behandelt wird, ist etwas zutiefst Vertrautes. Wir haben mit diesen Märchen mehr zu tun als etwa mit den modernen Telenovelas. Es ist eine jahrtausendealte kulturelle Matrix, die wir in uns haben.

Immerhin haben auch Märchen zumeist den tröstlichen Aspekt, dass sie gut ausgehen.
Wie bitte? Entschuldigung, da stehe ich auf Seiten der Wölfe, der Hexen, der bösen Stiefmütter – die müssen alle jämmerlich verlodern.

Aber gehört das nicht zur Märchenmoral: Das Gute siegt, das Böse wird bestraft?
Es werden dabei aber auch die unschönen Seiten des Lebens ausgeleuchtet. Wenn man erlebt, wie eine Stiefmutter auf glühenden Kohlen tanzen muss, dann wird man nachdenklich.

Schon der Raum der Märchenhütte beamt das Publikum in eine Märchenwelt.
Die Menschheit hat viel länger in solchen Hütten gehaust als in unseren Gründerbauten. Unsere Hütte ist genauso alt wie die Zeit, in der die Märchen von den Grimms aufgeschrieben wurden und das spürt man auch.

Weitere Informationen: Bis 29.2. (tägl. außer Mo.), 10, 14, 15, 16.30, 17 Uhr (für Kinder), 19.30, 21 + 22.30 Uhr (für Erwachsene). Premiere „Gevatter Tod“: 12.1., 19.30 Uhr. Eintritt 8-12, Kinder 5 Euro

www.maerchenhuette-berlin.de