Hobbys

Die neue Lust auf Hobbys

Schluss mit dem Zwang zu funktionieren! Schluss mit der ewigen Selbstoptimierung! Freizeit darf nicht mehr nur Ausgleich für den Job sein. Freizeit muss sich wieder lohnen!

Alle zwei Wochen besuche ich einen Mann in seiner Einzimmerwohnung, die im Erdgeschoss eines Hinterhofs liegt. Der Mann hat einen Zopf und setzt sich immer gegenüber von mir auf einen Holzstuhl. Wenn es gut läuft, lächelt er mich milde an. Wenn nicht, muss ich abwechselnd mit der rechten und der linken Hand auf meine Oberschenkel klatschen und dabei „da-del-du“ sagen. Ich lerne jetzt Gitarre. In meiner Jugend habe ich das irgendwie verpasst. Und nach ein paar Jahren im Berufsleben wollte ich mal wieder etwas Sinnvolles machen. Etwas, das mit meinem Beruf überhaupt nichts zu tun hat, etwas, das ich nur für mich mache.

Hobbys hatten lange einen schweren Stand. Viele vermeintliche Interessen sind entweder Selbstverständlichkeiten (Lesen, Freunde, Familie) oder dienen doch nur als Ausgleich fürs Berufsleben (Yoga, Joggen, Pilates) oder Alibi für den Lebenslauf (sehr beliebt: die Fotografie). Echte Hobbys, sind selten geworden. Wo ist die Leidenschaft geblieben, die ganze Generationen in den Bastelkeller trieb? Wohin ist der Wahnsinn verschwunden, der das ganze Denken auf eine einzige Tätigkeit konzentriert, die niemandem nützt, außer einem selbst? Wir leben in einer Gesellschaft, die sich fit hält, die immer bereit ist, noch mehr zu leisten. Gerade in Berlin machen viele ihr Hobby zum Beruf und vergessen dabei, wie wichtig ihre Freizeit ist.

Das ändert sich jetzt, und das wird auch höchste Zeit. Arbeit darf nicht mehr der einzige Lebensinhalt sein. Gerade jetzt, wo Wirtschaftkrise auf Wirtschaftkrise folgt, muss es einen Ort geben, an dem man frei von äußeren Faktoren, die man eh nicht beeinflussen kann, sich selbst verwirklicht. Wo man Erfolgserlebnisse sammelt. Wo man ohne jeden rationalen Hintergrund seiner Leidenschaft, seiner Besessenheit freien Lauf lassen darf.
Hobbys befreien. In ihnen können wir uns beweisen, ohne uns an gesellschaftlichen Normen messen zu müssen. Im Hobby erschaffen wir uns eine eigene Welt. Wirtschaftskrisen kommen und gehen, deshalb müssen wir jetzt erkennen, dass Arbeit längst nicht alles ist. Für keine Stadt gilt das so wie für Berlin. Hier ist Arbeit dünn gesät, aber zugleich ist das Angebot an Natur und Kultur riesig.

Fehlt noch das richtige Hobby – zu Hause oder draußen, alleine oder in der Gruppe, eher was für den Kopf oder eher für den Körper. Wichtig ist der Wahnsinn. In ein Hobby muss man sich hineinsteigern können. Die Freunde müssen den Kopf schütteln, wenn man bei Regen mit der Angel in der S-Bahn sitzt, auf dem Weg zum großen Fisch dort draußen. Aber insgeheim denken sie: „Der macht sein Ding“ und werden neidisch sein.
Um das Gitarrenspiel hat mich bislang noch niemand beneidet. Und wenn die Nachbarn die Köpfe schütteln, sehe ich das nicht. Aber zumindest kann ich ganz sicher sein, dass ich es nie zu meinem Beruf machen werde.