Viva la Mamma!

Feindbild Mutter in Berlin

Wie konnten stolze Eltern zum Berliner Feindbild werden – und warum besonders die Mütter? Unsere Autorin findet den Hass dumm und überflüssig: eine Wutrede und fünf Antworten

Angriff soll ja bekanntlich die beste Verteidigung sein, deshalb darf – nein: deshalb muss! – an dieser Stelle mal scharf geschossen werden. Nämlich gegen all die Wichtigtuer, Spinner und Idioten, die sich seit Jahren am Feindbild Eltern abarbeiten, an Menschen also, die für sich und ihren Nachwuchs nur Gutes wollen; Menschen, die sich Gedanken machen, die eine Idee vom Leben haben, und diese Idee nach bes­tem Wissen und Gewissen umzusetzen versuchen.
Als Dank dafür wird diese Gruppe mit ­immer neuen, immer lächerlicheren Attributen bedacht: Es sind entweder Latte-Macchiato-Mütter, Helikop­ter-Väter oder Über-Eltern. Drunter geht’s nicht. Und es sind vielfach die Mütter, die zum Feindbild werden, während sich die Väter für zwei Monate Elternzeit feiern lassen. Im liberalen Berlin macht das die ganze Sache besonders absurd.
Sich über Eltern aus sogenannten Szene­bezirken lustig zu machen, ist zum Volkssport geworden. Wer was auf sich hält, beteiligt sich, und je lauter die Stimme, mit der gesprochen wird, desto begründeter erscheinen die Vorwürfe. Der Chronistenpflicht wegen nachfolgend die wichtigsten im Überblick: Die Eltern, um die es hier geht, sind eigentlich gar keine Eltern, sondern bestenfalls Elterndarsteller. Performer, dem Druck der Leistungsgesellschaft und des Statusdenkens erlegen. Kinder sind für sie nicht bloß Nachwuchs, sondern ein Projekt, das mit Hilfe von Fantastilliarden von Ratgebern angegangen wird. Was dabei am meisten nervt, ist ihre Selbstinszenierung: Seht her, wie toll wir das machen – sind wir nicht großartig?

Synonym für Gentrifizierung

So weit, so bekannt, so langweilig. Und deshalb muss an dieser Stelle mal eine Lanze gebrochen werden für die, die nicht sonderlich beliebt sind. Zum Beispiel bei Café-Betreibern und Restaurantbesitzern, die ihren Espresso, ihre Gerichte lieber ohne Babygeschrei servieren möchten. Bei Vermietern, die störende Kinderwagen nicht in ihren Hausaufgängen dulden. Bei Pädagogen, Ärzten und Mitarbeitern des Ordnungsamtes, die in Kitas, Praxen oder auf Spielplätzen jede interessierte Nachfrage als Angriff auf ihre Kompetenz fehlinterpretieren. Bei Nicht-Eltern, Misanthropen, notorischen Stunkmachern, die in jedem Kind, jeder überfürsorglichen Mutter einen Angriff auf das eigene Lebensmodell sehen.
Auch in der zitty hat eben diese Bevölkerungsgruppe mitunter nicht gut abgeschnitten. Als wir 2008 eine Leserumfrage starteten, wer denn der Lieblingsfeind der Berliner sei, gewann die „Junge Familie in Prenzlauer Berg“ mit Abstand vor den „Zugezogenen“ und den „Kriminellen Ausländern“. Man kann das amüsant finden. In Wahrheit aber offenbart sich darin eine Haltung, die kleingeistig und dumm ist, einfach weil sie zu kurz greift. Weil auf den Sack eingeschlagen wird, obwohl der Esel gemeint ist. Weil es unterm Strich gar nicht um die viel gescholtenen Eltern geht, sondern um einen Konflikt der Lebensstile. Es geht darum, wer diese immer lauter und schneller werdende Stadt wie nutzen darf. Um die Frage nach dem richtigen Leben, wenn es das denn überhaupt gibt. Es geht um Daseinsberechtigung, Existenzangst und Abstiegspanik. Um Meinungsführerschaft und Deutungshoheit.
Diese Fragen betreffen nicht nur Eltern. Auch Kinderlose, Einheimische, Zugezogene, Yuppies und Bürgerbewegte müssen sich mit ihnen auseinandersetzen. Das hat manchmal irrationale Antipathien gegenüber der einen oder anderen Gruppe zur Folge – an dieser Stelle sei kurz an jenen geistig entgleisten Zeitungszusteller erinnert, der vor vier Jahren in Prenzlauer Berg reihenweise Kinderwagen in Brand setzte und das vor Gericht mit „Schwabenhass“ begründete.
Weil aber die meisten Mütter und Väter mit ihrem Nachwuchs zu beschäftigt sind, um sich lautstark, dauerhaft und nachhaltig zur Wehr zu setzen, befinden sie sich nun schon seit Jahren im Zentrum eines Shitstorms. Sie bekommen den geballten Hass von Gentrifizierungsgegnern zu spüren, denn ihre bloße Anwesenheit in bestimmten Kiezen wird als Grund dafür gesehen, dass sich ehemals studentische Viertel in bürgerliche verwandeln. Für die ewigen Berufsjugendlichen sind sie das personifizierte schlechte Gewissen, die unausgesprochene Erinnerung daran, dass Pubertät und Wechseljahre nicht nahtlos ineinander übergehen. Und für die Blockwarte dieser Stadt sind sie und ihr Lebenswandel ohnehin eine ständige Zumutung.
Klar gibt es Eltern, die mit übertriebener Fürsorge, Bio-Wahn und frühkindlichem Förderirrsinn nerven und für die das richtige Erziehungskonzept eine Art Religion ist. Wer je einen sonnigen Nachmittag auf einem der einschlägigen Spielplätze zugebracht hat, wird mit Sicherheit welche von ihnen getroffen haben. Aber diese paar Sonderlinge sind dann dafür verantwortlich, dass eine ganze Generation von Eltern in Sippenhaft genommen wird und unter Rechtfertigungsdruck gerät. Der Grund dafür ist simpel: Es liegt eine optische Täuschung vor. In manchen Bezirken mag der Nachwuchs das Stadtbild dominieren, der Trend zum Dritt-Kind gehen, dennoch gibt es im Schnitt und im europäischen Vergleich noch immer zu wenig. Und das in einem der reichsten Länder der Welt. Keine gute Voraussetzung also, um ein ehemals völlig normales, mittlerweile scheinbar irrsinniges Wagnis wie die Familiengründung anzugehen.
Die Verfasserin dieser Zeilen ist übrigens auch eine von denen, die von Feuilletonisten, Politikern und Soziologen ganz genau beobachtet werden. Eine von denen, die nichts richtig machen können, aber alles falsch. Eine Latte-Macchiato-Mutter, Elterndarstellerin, Helikopter-Mom – welche Bezeichnung auch immer der Zeitgeist gerade zur Verfügung stellt. Eine von denen, die man glaubt, aus den Medien zu kennen, denn das Bild, was da vermittelt wird, sieht immer gleich aus. Es zeigt stolze Eltern, die gebildet sind und die im bürgerlichen Prenzlauer Berg wohnen oder im noch nicht ganz so bürgerlichen Friedrichshain. Denen es vergleichsweise gut geht, beruflich wie privat. Die von außen betrachtet einerseits unentspannt wirken, dann aber wieder irgendwie lässig und cool. Und auf die sich der sogenannte gemeine Berliner als Feindbild leicht einigen kann, weil alles andere hieße, sich mit drängenderen Problemen zu beschäftigen.
Man muss die Ablehnung als das deuten, was sie ist: ein Zeichen von Neid und Missgunst und Angst, gespeist aus Vorurteilen. Wenn man die beiseiteschiebt und sich mit vermeintlichen Über-Eltern unterhält, kommt eine Wahrheit zutage, die für viele irritierend sein mag: Die meisten von ihnen sind schon froh, wenn sie den nächsten Tag einigermaßen stressfrei überstehen. Nicht weniger, aber auch nicht mehr.