zitty_gespräch

Interview mit Markus Thiedemann

Markus Tiedemann, Professor für Philosophie und Ethik, forscht an der Freien Universität Berlin über Radikalismus und politische Orientierung von Jugendlichen.

Wo sehen Sie die größten Unterschiede im Verhalten von Rechts- und Linksextremen?
Es gibt zwei Trends: Bei den Rechtsradikalen haben wir viele kleine Gruppen mit einem qualitativ zunehmenden Gewaltpotenzial. Im linken Spektrum findet sich eine unspezifische Gewalt in Form eines Fun-Charakters ohne ideologische Unterfütterung. Der fehlende Überbau führt zur Spekulation, ob es überhaupt noch eine Szene gibt, die die Zuschreibung „links“ verdient.

Inwiefern gibt es eine neue Form von Gewalt?

Nach der rechten Ideologie ist Gewalt ein Selbstzweck. Sie ist identisch mit der Durchsetzung der Existenzberechtigung der eigenen Rasse. Linke Gewalt  versteht sich traditionell als reaktive Gewalt, als Verteidigung gegen Unterdrückung, Ausbeutung oder Polizeistaatlichkeit. Nun lassen sich dort Grenzüberschreitungen beobachten, das gilt für Steine auf Polizeibeamte und Gewalt gegen Mittelklasse-Autos.

Können Parallelen zu den Kämpfen in der Weimarer Republik oder der Radikalisierung der 70er Jahre gezogen werden?
Die Menschen, die in den 20er Jahren gekämpft haben, verstanden sich nicht immer als Vertreter einer Ideologie. Oft gehörten sie lediglich einem bestimmten Straßenblock an oder standen hinter einer bestimmten Parole. In dieser Hinsicht ähnelt es den heutigen Ausschreitungen. Wobei man das Ausmaß der Ausschreitungen in der Weimarer Republik nicht mit heute vergleichen kann. In der Endphase waren Radikalisierung und Gewalt bis tief in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen. In den linksradikalen Bewegungen der 70er Jahren gab es einen ideologischen Überbau. Aufrufe und Vorwürfe sollten auch in der Mitte der Gesellschaft verstanden werden. Heute scheint es den Akteuren gleichgültig zu sein, ob irgendjemand sie versteht.