Familie

Jugendberufsagentur für ratlose Schulabsolventen

Die Stille nach dem Schluss: Viele Schüler sind nach dem Abschluss völlig planlos und suchen vergeblich nach Rat. Nun will die Berliner Schulverwaltung eine Jugendberufsagentur einrichten, um den Übergang in den Job zu erleichtern

Es sei ein „Dschungel“ – dieses Wort fällt oft, wenn es um die Beratungsangebote für Berliner Jugendliche geht, die sich schwertun, von der Schule in den Beruf zu finden. Jan Eder, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer (IHK) Berlin, empfahl kürzlich gar eine Machete, um einen Pfad durch das Dickicht zu schlagen, natürlich bildlich gesprochen. Die Sozialpädagogin Anja Bochow-Rey vom Neuköllner Netzwerk Berufs­­hilfe e.V. kennt diesen Dschungel. Ein Beispiel: Einer ihrer Fälle, ein 16-jähriger Junge, ist ohne Abschluss von der Regelschule abgegangen, anschließend flog er von zwei Förderzentren. Hier sei zum einen das Jugendamt zuständig, sagt Bochow-Rey, es greift also das Sozialgesetzbuch (SGB) VIII. Weil aber die Mutter des Jungen Hartz IV bezieht, fällt er auch in die Zuständigkeit des Jobcenters, SGB II. „Außerdem habe ich festgestellt, dass er besonderen Förderbedarf im Sinne einer Lernschwäche hat. Das fällt dann in den Rehabilitationsbereich, also SGB III“, sagt Bochow-Rey. Ein einziger Wirrwarr. Wann sie wo welche Termine ausmachen sollen und welche Maßnahmen sie dort erwarten, ist für Jugendliche und deren Eltern oft undurchschaubar.

Der Anteil an arbeitslosen Jugendlichen ist in Berlin schon seit Jahren höher als in ­allen anderen Bundesländern – aktuell mit zwölf Prozent doppelt so hoch wie im Bundesdurchschnitt, mehr als 17.000 junge Berliner und Berlinerinnen zwischen 15 und 25 Jahren sind arbeitslos. Dabei sind laut IHK im vergangenen Jahr fast 700 Ausbildungsstellen unbesetzt geblieben. Ihre Hoffnung setzen die Beteiligten jetzt auf eine Jugendberufsagentur (JBA), die die Berliner Schulverwaltung einrichten will. Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) fordert „attraktive und klare Beratungswege, die Schülerinnen und Schüler im Übergang brauchen.“ Wie die JBA genau aussehen wird, plant die Schulverwaltung derzeit. Fest steht, dass es sich nicht um eine eigene Institution handeln soll, sondern um eine Koordinierungsstelle. Unter einem Dach sollen die Jugendlichen ihre Ansprechpartner finden: die Agentur für Arbeit, Jobcenter, Träger der Jugendhilfe und Schulen – am  besten mit einem Standort pro Bezirk.

Unrealistische Berufspläne und fehlende Schulabschlüsse

Statt von einer Stelle zur nächsten weitergereicht zu werden, etwa vom Jobcenter zur Kinder- und Jugendhilfe und zurück, sollen die Jugendlichen hier eine Anlaufstelle haben, wo dafür gesorgt wird, dass sie eben nicht verloren gehen. Hamburg hat es vorgemacht: Dort gibt es eine JBA mit sieben Standorten. Doch die Struktur kann nicht einfach übernommen werden, da in Berlin andere Voraussetzungen gelten. „Wir haben hier ja allein drei Agenturen für Arbeit“, sagt Beate Stoffers, Sprecherin der Schulverwaltung. Ein eigener „Berliner Weg“ muss daher gefunden werden. Dann sollen laut Stoffers noch in diesem Jahr „erste wahrnehmbare Schritte“ folgen. Bislang monieren die Unternehmen, die ­Jugendlichen seien nicht ausbildungsreif. Die Gewerkschaften dagegen sagen, die Ansprüche der Arbeitgeber seien zu hoch. Die fordern von den Bewerbern oft einen ­Realschulabschluss oder gar Abitur. Hinzu kommt eine vergleichsweise niedrige Ausbildungsquote in Berlin: Gemessen an den Beschäftigungsplätzen ist die Zahl der Ausbildungsstellen gering. Viele der Jugendlichen, die auf Abwege geraten, haben sehr unrealistische Lebensentwürfe – Berufspläne, die mit ihrem oft schlechten oder fehlenden Schulabschluss nicht vereinbar sind. Diese Erfahrung macht Sozialpädagogin Anja Bochow-Rey vom Neuköllner Netzwerk Berufs­­hilfe e.V. jeden Tag. Sie arbeitet in einer der vom Bundesfamilienministerium noch bis zu diesem Sommer geförderten bundesweit  rund 1.000 Kompetenzagenturen und begleitet Jugendliche beim Übergang in den Beruf.

Unternehmen monieren, die Jugendlichen seien nicht ausbildungsreif. Gewerkschaften sagen, die Ansprüche seien zu hoch

Ihre Arbeit bezeichnet Bochow-Rey als eine Art Vorstufe einer Jugendberufs­agentur. „Ich bin Schnittstelle und Lotse“, sagt sie. Auch Diplompsychologin Sabine Braese arbeitet in einer Kompetenzagentur, in Marzahn-Hellersdorf. Sie und ihre Kollegen machen bereits gute Erfahrungen mit einer engen Vernetzung im bezirklichen Jugendberatungshaus, wo etwa auch eine Schuldnerberatung sitzt. „Was noch fehlt, sind die Arbeitsagentur, die Jobcenter, der Regionale Sozialdienst“, sagt Braese. Stellt sie etwa bei einem Mädchen aus einem Hartz-IV-Haushalt fest, dass die ­familiäre Situation so prekär ist, dass es besser ausziehen sollte, muss sie erst einen Antrag auf vorzeitigen ­Auszug aus der elterlichen Wohnung stellen. Den prüft der Regionale Sozialdienst. „Das kann dauern und das Mädchen wohnt in der Zwischenzeit bei Freunden, bekommt keine ­finanzielle Unterstützung und am Ende wird der Antrag womöglich auch noch abgelehnt“, sagt Braese. Ihre Hoffnung ist, dass unter einem Dach diese Wege abgekürzt beziehungsweise beschleunigt werden. So kündigte Arbeitssenatorin Dilek Kolat (SPD) an, die JBA solle verhindern, „dass Jugendliche planlos von einer Beratungsstelle zur nächsten geraten. Jetzt geht es in die konkrete Umsetzung in den Bezirken.“ Ein Mitglied der Arbeitsgruppe, die die Frage nach einer JBA für Berlin geprüft und eine Empfehlung dafür ausgesprochen hat, ist Cornelia Schwarz. Sie ist Leiterin des Fachbereichs ­Ausbildungsmarkt der Bun­desagentur für Arbeit, Regionaldirektion Berlin Brandenburg. „Wir haben diese Zerklüftung in Berlin. Bislang werden die Beratungen angeboten wie in einem Gemischtwarenladen“, sagt sie. „Der ­Jugendliche in Treptow bekommt ein ganz anderes Angebot als sein Kumpel in Reinickendorf.“ Ein erster Schritt müsse also sein, bezirksübergreifende Standards zu vereinbaren.

Forderung: Gemeinsame Standards und klare Ansprechpartner

An den JBA-Standorten in den Bezirken sollen sich die ­Jugendlichen umfassend informieren können. Müsse man, wie bislang, die Jugendlichen für bestimmte Fragen zur nächsten Einrichtung schicken, kommen sie dort womöglich nie an oder haben bis ­dahin vergessen, was sie überhaupt fragen sollten. „Es ist etwas ganz anderes, wenn ich die jungen Leute an der Hand nehmen und mit ihnen über den Gang laufen kann“, sagt Schwarz. Daher muss jetzt geprüft werden, welche Liegenschaften für die Standorte ­infrage kommen. Einen besonderen Glücksfall könnte es für die drei Bezirke mit Berufsinformationszentren – Friedrichshain-Kreuzberg, Neukölln und Charlottenburg-Wilmersdorf  – bedeuten, wenn es möglich wäre, die JBA-Standorte dort unterzubringen. Gemeinsame Standards und klare Ansprechpartner sind also die Forderungen an die ­geplante JBA. „Wir haben große Zuversicht, damit die Verweildauer im Übergangssystem zu verkürzen“, sagt Beate Stoffers. Dann ­werden hoffentlich auch offene Ausbildungsplätze vermehrt besetzt. Besonders begehrt und damit weniger aussichtsreich sind ­Medienberufe. Gute Chancen auf eine Ausbildung bieten derzeit das Hotel- und Gaststättengewerbe und der Einzelhandel. Vielleicht wird es ja nun leichter, das gewünschte Karrie­re­ziel zu erreichen. Ganz ohne Machete.

Für Spätstarter

Unter dem Motto „AusBILDUNG wird was – Spätstarter gesucht“ möchten die Bundesagentur für Arbeit und die Jobcenter bis 2015 mit der Initiative „Erstausbildung junger ­Erwachsener“ 100.000 Menschen ab 25 Jahren zu einem Berufsabschluss verhelfen. Das Programm läuft seit einem Jahr. Die Initiative richtet sich an gering qualifizierte Arbeitslose, Arbeitnehmer ohne Berufsabschluss und Arbeitnehmer mit Berufsabschluss, wenn sie seit mindestens vier Jahren einer an- oder ungelernten Tätigkeit nachgehen und ihre erlernte Tätigkeit nicht mehr ausüben. Gefördert werden Qualifizierungen, die zu einem anerkannten Berufsabschluss führen, Lehrgänge zur Vorbereitung, Qualifizierungen, die zu einer berufsanschlussfähigen Teilqualifikation führen. Während der Qualifizierung erhalten Leistungsbezieher zur Ausbildungsvergütung in der Regel ihre lebensunterhalts­sichernden Leistungen weiter. Von der Agentur für Arbeit oder dem Jobcenter werden erstattet: Lehrgangskosten, Fahrtkosten, Kosten für die auswärtige Unterbringung und Verpflegung, Kinderbetreuungskosten, umschulungsbegleitende Hilfen (z. B. Nachhilfeunterricht). Weitere Informationen gibt es unter www.arbeitsagentur.de/Erstausbildung-Arbeitnehmer sowie direkt bei den Agenturen für Arbeit und den Jobcentern.