Mode & Musik

Punk-Mode in Berlin

Zwischen Mode und Musik geht so einiges. Besonders in Berlin, wo seit den Tagen des Punk beides in inniger Verbindung steht. Eine Einführung

Gott sei Dank hat DJ Hell Krafttraining gemacht. Sonst wäre es womöglich nie zu dem historischen Moment gekommen, der Berlins Musikszene aus ihrem modischen Dornröschenschlaf erweckt hat. Anfang der 2000er stand Hell als Electroclash-Pate im Club WMF hinter den Plattenspielern – zog sein Hemd aus, legte sich ein Handtuch um die Schultern und ließ mit dem gestählten Rücken zum Publikum den Champagnerkorken knallen. Camp, Glamour und absurdes Theater kamen in einer audiovisuellen Gesamtinszenierung zusammen, die Berlins störrischem Hedonismus den Spaß an der Mode zurückbrachte. Es hatte etwas von der großartigen Geschmacklosigkeit des Wrestlings. Die Gigolo-Inszenierung mit Handtuch und Champagner schlug in der Berliner Ausgehszene so ein, wie Jogi Löws taillierte Strenesse-Hemden auf der Trainerbank.

Danach fielen emanzipiertes Ausgehen und modisches Aufdonnern wieder zusammen. In Clubs wie Rio, Picknick, King Size oder Backyard werden zu Retro-Sounds 80er-Neon, 20er-Burlesque oder 70er-Omalook in den Outfits genüsslich durchgespielt. Wenn Boutiquen wie Konk oder Wood Wood einen Ausverkauf veranstalten, sieht man das am Wochenende in den Clubs.

In den 90ern herrschte No-Style mit Carhartt

Noch im Jahrzehnt davor standen sich Musik und Mode in Berlin längst nicht so vorurteilsfrei gegenüber. Die Blumenkinder der Hippie-60er waren als Flokati-Kinder der Techno-90er wieder auferstanden – samt dem Hang zum Verkleiden und dem Ablehnen der Modesyene. Neonfarbene Plüschwesten erstickten die ambitionierten Ansätze zu einer dezenteren Clubwear im Umfeld von Techno und Drum’n’Bass. Weniger verstrahlte Marken wie das schwäbische Sabotage oder 3000 von Frank Schütte aus Berlin versuchten, den Minimalismus eines Helmut Lang mit industriellen Materialexperimenten zu kreuzen.

Diese Techno-Couture kam in der Galerienszene besser an als auf dem Open-Air-Rave. Was daneben immer ging, war der Spree-Slacker in nachlässiger Funktionsklamotte, höchstens mal mit einem Club-Logo vom Tresor oder vom WMF auf der Hoodie-Brust. „Nicht-Stil“ nennt DJ Hell rückblickend diese herrschende Grundeinstellung: „Man hat am meisten Wert darauf gelegt, möglichst nicht cool auszusehen. Es herrschte No-Style mit Carhartt und Red Wings und der ganzen Workwear.“

Das Berliner Label Irie Daily entwirft seit 1994 die Kreuzberger Variante dieses Slacker-Stils, Klamotten wie für Detroiter Fließbandarbeiter, die von Kreuzberger Kellermusikern getragen werden. Die Berliner Erfolgspunker Beatsteaks ziehen den No-Style bis heute in Perfektion durch und auch die Crew um das Hardwax, dem Techno-Plattenladen von Weltruhm, hat ihn bis zur Uniform perfektioniert. Wie sehr dieser No-Style sich in den 90ern zum typischen Stil der Berliner Musik-, Mode- und zaghaft aufblühenden Werbeagenturszene formte, setzte „Style & The Family Tunes“, das erste Mode- und Lifestylemagazin aus Berlin, in Szene. Die legendäre Berlin-Ausgabe mit dem Gebäck auf dem Cover, das überall Berliner heißt, nur in Berlin nennt man es Pfannkuchen, porträtierte die kreativen Köpfe, die arglos die Weichen für den aktuellen Berlin-Hype gestellt hatten.

Alle waren auf Speed oder Amphetaminen

Vor Mauerfall und Rave-o-lution verschränkten sich Musik und Mode auf eine glamouröse Weise, von der die Stadt trotz Berlin Fashion Week, die seit 2007 stattfindet, heute noch träumt. Auch Wolfgang Joop schwärmt: „Ich bedaure, dass ich in den 80ern die Berliner Nachtszene nicht so richtig mitbekommen habe.“ Und meint damit die Zeit der Netzstrümpfe, des verschmierten Make Ups und des Mousse in den Haaren: „Um elf Uhr nachts ging man in eine Diskothek im ersten Stock am Adenauerplatz, da sang Heinz Baumann Couplets aus ‘Ein Käfig voller Narren’. Alle waren auf Speed oder Amphetaminen und aßen morgens Currywurst. Als David Bowie und Iggy Pop in Berlin unterwegs waren, das war die Zeit, die ich gerne mitgemacht hätte.“

Berlin diktierte den Underground-Chic. Neue-Deutsche-Welle-Bands wie die Einstürzenden Neubauten definierten das aggro-nihilistische Schwarz. Was überall als Bekenntnis zum konservativen Mainstream gelten würde, wandelte sich in Berlin zum ironischen Anti-Statement: Bayerische Stoiber-Folklore wurde im Norden zu New-Wave-Exotik umgedeutet. Mit einer Trachtenjacke hatte man gute Chancen, die Tür der Disco Dschungel zu passieren, um neben David Bowie, Blixa Bargeld und Claudia Skoda am Geländer der geschwungenen Freitreppe zu lehnen. Die Strick-Designerin Claudia Skoda bündelte die künstlerischen Disziplinen: Der Künstler und Geschäftsführer des SO36, Martin Kippenberger, gestaltete Ende der 70er eine ihrer Shows mit Fotografien und der Elektronikmusiker Manuel Göttsching spielte den Soundtrack zu einer ihrer Modenschauen. Sein Stück „E2-E4“ gilt als eine der Blaupausen für Techno. Sie selbst sang mit Göttsching und den Musikern von Kraftwerk davon, wie sie Herrn Ralfi und Herrn Karl mit ihren Gurten gerecht leiden lassen wird. „Sie war damals eine zentrale Figur“, bestätigt Wolfgang Joop, „bei einer ihrer Modenschauen hingen Frauen in Käfigen in einem Abbruchhaus in Kreuzberg. Manchmal habe ich das Gefühl, die 80er sind in Berlin erfunden worden.“

An dieses goldene Jahrzehnt versucht Berlin nach dem No-Style-Loch der 90er wieder anzuschließen. Die Musikszene gibt mit den vielen unabhängigen Labels und Clubs die Strukturen vor: Do it yourself ist wichtiger als der Anschluss an einen Konzern. Es zählt, klein und beweglich zu bleiben und sich schlechte Scherze erlauben zu dürfen. Das „Wasted German Youth“-T-Shirt des Aktionskünstlers Paul Snowden trat aus der Berliner Clubkultur seinen Siegeszug um die Welt an, bis es am Körper von adretten japanischen Touristen in die deutsche Hauptstadt zurückkehrte.

Halbgarer Glamour trifft auf Kostümfasching

Die Berliner Elektronikpopper Bodi Bill bekennen sich zur Mode der Designerin A.D.Deertz und kooperieren für ihr Video mit der Stylistin Josephin Thomas, die auch als DJ Jungs-Musik auflegt. Die Berliner Techno-Überfigur Ellen Allien entwirft in Zusammenarbeit mit einem Modedesigner Kleidung, die das klassische Band-T-Shirt kunstvoll verfeinert. Bei der Berliner Band The Aim of Design is to Define Space überholt die Mode gar die Musik. Das Sweatshirt mit der diagonalen Balkenschrift des Bandnamens vom Grafikkollektiv Pfadfinderei ist weitaus bekannter als die Band.

Prägender als das professionelle Crossover von Mode und Musik ist aber der modische Freizeitklamauk, dem die Bar 25 bis letzten Sommer eine Bühne bot. Lange vor „Pirates of the Caribbean“ wurde hier ein überkandidelter Freibeuterlook kultiviert, der den No-Style der 90er mit dem neuen Modebewusstsein der 2000er zusammenbringt und wieder für so etwas wie einen Berliner Stil steht. Wenn Pop-Sängerin Kylie Minogue die wilde Mode des Berliner Design-Duos Starstyling trägt, grüßt aus dem Hintergrund die Bar 25 (und die Berliner Hausband der Bar, Bonaparte). Mode aus dem Geist der verschworensten Clubkultur der Stadt, die bis in die große Welt der Charts strahlt.

Was den Berliner Mode-Musik-Komplex heute so spannend macht, ist eine ästhetische Mischkalkulation. Der halbgare Glamour der Fashion Week trifft auf den überreifen Kostümfasching der Bar 25. So könnte sich das neue Jahrtausend auf Augenhöhe mit dem 80er-Erbe schwingen: Michael Michalsky, der Popstar unter den Berliner Designern, lässt nicht nur die UK-Popper-Veteranen Spandau Ballett zu seiner Fashion-Week-Schau spielen, wie er es im Januar 2010 tat, sondern Bonaparte mit dem 80er-Hit „Wir steh’n auf Berlin“ von Ideal – mit der Kanadierin Peaches als Sängerin in ihrem geliebten Hotdog-Ganzkörperkostüm.