Berliner Platten

Stella Sommer, die Kaufhausdiva

Auf ihrem Soloalbum „13 Kinds of Happiness“ klingt Stella Sommer, Sängerin von Die Heiterkeit, unnahbarer und toller denn je. Tod und Teufel! Freundlich ist sie trotzdem. Warum provoziert ihr Laissez-faire so viele Leute?

Es soll ja Leute geben, die Stella Sommer wütend macht. Weil sie als Sängerin der Indiegruppe Die Heiterkeit, anders als der Bandname vermuten lässt, verdammt wenig lächelt. Weil sich jene Gruppe zwei Alben lang offenkundig so gar keine Mühe beim Gitarrenschrubben geben wollte. Und weil Die Heiterkeit schließlich vor zwei Jahren, als man ihre lustlose Lo-fi-Nummer gerade zu begreifen glaubte, in veränderter Besetzung das Kunstpop-Mammutwerk „Pop und Tod I+II“ veröffentlichte. Nun also die nächste Frechheit: Da nimmt Sommer ihr wundervolles Soloalbum „13 Kinds of Happiness“ auf, wirft sich für divenhafte Fotos in Szene – und spielt nicht mal Konzerte, um ihr Album zu präsentieren.

Wer diese eigensinnige Frau treffen will, sollte mal zu Karstadt am Hermannplatz gehen; dort den Damen im Silberhaar auf die Kuchenteller gucken, vielleicht eine Limo trinken. Dann Auftritt Stella Sommer: Wahlberlinerin aus Sankt Peter-Ording, bekannt geworden in der Hamburger Musikszene, studierte Juristin. Und äußerst freundlich. „Ein toller, seltsamer Ort“, sagt Sommer über die Dachterasse des Warenhauses. Hier trifft Weitblick auf bleiernen Alltag, vom Glanz des einst größten Kaufhauses Europas spürt man nichts mehr. Ein uncooler Treffpunkt, scheinbar ironisch gewählt, wie manches im Zeichensystem dieser Künstlerin.

Stella Sommer
Stella Sommer
Foto: Manuel Gehrke

Aber auch ein passendes Setting, um über ihre Soloplatte zu sprechen. Denn “13 Kinds of Happiness” klingt weder nach Berlin noch nach Heute, sondern nach in der Schublade vergessenen Sixties-Songs, nach anmutigen Klassikern – stets getragen von Sommers eisiger Grabesstimme. Der Vergleich mit der großen Nico hat Sommer schon vor Jahren gelangweilt, umgehen lässt er sich hier schwer.

Nein, das ist keine Jetztmusik. Und tatsächlich kommen die Songs aus einer anderen Zeit: Viele basieren auf Skizzen aus Sommers Jugend. „Ich war damals schon so faul und hab nie Texte zu Ende geschrieben“, sagt sie. „Mir reichte es, Ideen zu haben.“ Nach dem letzten Heiterkeit-Album habe sie diese Ideen ausgebaut und im Studio ein bisschen vor sich hin arrangiert. Ganz allein war sie auch bei der Produktion ihres Soloalbums nicht: Die Bandkollegen Hanitra Wagner und Philipp Wulf gingen ihr zur Hand; Pogo McCartney, der mit Heiterkeit-Drummer Wulf bei der Postpunk-Band Messer spielt, nahm die Platte auf, und sogar Tocotronics Dirk von Lowtzow hat ein Gastspiel im Song „Birds of the Night“.
Neue Freiheit habe ihr die Arbeit allein trotz vieler bekannter Gesichter gegeben. „Eine Band kann ganz schön einengen“, sagt Sommer. Klar, schließlich wollen Gitarristin, Bassistin und Schlagzeuger beschäftigt sein. „Auf meinem Soloalbum kann ein Song auch mal nur mit einem Klavier und einem Synthesizer auskommen.“

Eines der eindrucksvollsten Stücke der Platte ist „Hierhin kommt der Teufel“, das einzige deutschsprachige Lied. „Ein bisschen schwarze Messe“, sagt Sommer über den Song, und tatsächlich: Man denkt an alte deutsche Volkslieder, an E.T.A. Hoffmanns bösen Sandmann. Schon auf dem letzten Heiterkeit-Album war Sommer angetan von Tod und Teufel, Licht und Schatten, und vor allem: von Chören. Ist sie am Ende gottesfürchtig? Nein. Wie aber findet dann diese sakrale Andächtigkeit ihren Weg in ihre Musik? „Als ich aufgewachsen bin, habe ich viel 60ies-Pop und -Folk gehört. Da waren Chöre sehr präsent”, sagt sie. „Wenn man das Effektgeballer aus vielen heutigen Songs streicht und die Harmonien über Chöre in die Songs bringt, entsteht ein zeitloser Sound. Eine sakrale Anmutung ist für mich eine Form von Zeitlosigkeit.”
Und die strebt sie zunehmend an; der ewigen Kumpeligkeit im deutschen Indie kann sie wenig abgewinnen. „Ich fand es als Hörerin immer toll, wenn ich etwas nicht greifen kann. Und sei es ein Glitzern in den Augen des Sängers. Es ist schön, zu denken: Der Typ auf der Bühne weiß etwas, was ich nicht weiß”, sagt sie. Restgeheimnis, Unnahbarkeit. Sommer liebt, was andere an ihr irritiert.

Stella Sommer: „13 Kinds of Happiness“ (Affairs Of The Heart/Indigo/Believe)

In einem Land, in dem die populärsten Popstars alle Mühe der Welt aufwenden, um ultranormal zu wirken, kann das wie eine Provokation wirken. Diese Haltung eint Sommer mit ihrem Kollegen und Kumpel Max Gruber alias Drangsal, mit dem sie im letzten Jahr unter dem Namen Die Mausis eine EP aufnahm. Auch Gruber spaltet die Gemüter immer wieder mit provokanten Sprüchen und flamboyanten Outfits. „Viele Leute macht es sauer, wenn sie merken: An diese Person komme ich nicht heran“, sagt Sommer. Sie selbst provoziere auch aus anderen Gründen: Neid spiele eine gewisse Rolle. „Als Die Heiterkeit bekannt wurde, beschwerten sich einige Männer: Was soll das? Ich spiele doch viel besser Gitarre, und diese Frauen kriegen die Aufmerksamkeit. Und dann sind sie noch nicht mal dankbar!” In Deutschland hätten Leute schnell ein Problem damit, wenn Dinge mit Leichtigkeit passieren: „Denn es muss ja immer alles harte Arbeit sein.“
Nur nicht heute. Stella Sommer will noch nach Sonderangeboten schauen, „wenn man schon mal im Kaufhaus ist“. Also fährt sie mit der Rolltreppe nach unten, winkt zum Abschied. Vielleicht wird sie sich neue Schuhe kaufen, vielleicht später einen umwerfenden Song schreiben. Oder ein Eis essen und nichts tun. Bei Karstadt trinken die Strickjacken-Damen ihren Kaffee aus. Und in einem Proberaum irgendwo da draußen kracht es gewaltig: Ein virtuoser Gitarrist hat vor Wut sein Instrument zerhauen. 

Drangsal