Klamottentausch

Tausche Jil Sander gegen Isabel Marant

Swap-Partys, Kleider-Bibliotheken und Upcycling-Stores sorgen für Abwechslung im Kleiderschrank –
und sind Alternativen zum schnelllebigen Modekonsum

Auf den ersten Blick könnte die hell­erleuchtete Galerie einer dieser kleinen Pop-up-Showrooms sein, wie sie anlässlich der Fashion Week in Berlin eröffnen: nackte Wände, weißer Tresen. Hippes Modevolk lässt seine Finger durch Kleidungsstücke gleiten, die an schlichten Garderobenstangen hängen. Es sind ausgewählte Sachen darunter, eine Seidenbluse von ­Isabel Marant, ein Anzug von Comme des Garçons, ein nachtblaues Kleid von Jil Sander. Nur eines fehlt: der Preis.

Kein gewöhnlicher ­Fashionstore, sondern eine Bücherei für Kleider. Hier kann man Klamotten ausleihen wie Bücher in einer Bibliothek. (Foto: Veistberlin.com)

14 Euro kostet der Monatsbeitrag, dafür gibt es vier Kleidungsstücke, die man einen Monat lang behalten darf. Die Idee dazu hatten vor einem Jahr zwei Studentinnen aus Hamburg, Pola Fendel und Thekla Wilkening. Auf Sankt Pauli läuft ihre ­Kleiderei so gut, dass sie nun eine Filiale in Berlin eröffnet haben.

„Wir standen eines Abends vor einem übervollen Kleiderschrank, hatten aber nichts Passendes zum Anziehen. Unser ­erster Impuls war, loszuziehen und etwas Neues zu kaufen. Doch genau dieses Verhalten wollten wir ändern“, erzählt Pola Fendel auf der Eröffnungsparty. So entstand die Idee des Kleiderverleihs. „Leihen ist einfach eine gute Alternative zum Konsumwahn“, findet Fendel. Bestückt wird die Kleiderei aus dem Fundus von Freunden und der Familie. Bald soll es auch Kooperationen mit Berliner Designern geben. Das Jil-Sander-Kleid stammt von Polas Mutter, „Warenwert: 600 Euro“. Bedenken, dass Sachen nicht zurückgegeben werden, hat sie nicht. „In Hamburg ist kein einziges Teil verschwunden“, sagt sie.

Tauschen statt kaufen

Die textile Leihbibliothek passt gut zur neuen Konsumkultur, in der Besitz für viele unwichtiger wird. Teilen-statt-kaufen oder Share Economy nennt sich dieser Trend. Anhänger teilen sich bereits Wohnungen, Autos und Bohrmaschinen – warum nicht auch Abendkleider und Designerteile?

Nicht nur finanzielle Gründe treiben die Anhänger des kollektiven Konsums an, es geht auch um ökologische und ethische Aspekte. Wer teilt, anstatt zu kaufen, wer Produkte, anstatt sie wegzuwerfen, in einen neuen Kreislauf überführt, schont Ressourcen und die Umwelt. In der Modebranche mit ihren problematischen Produktionsbedingungen eröffnet die Share Economy neue, nachhaltigere Wege des Konsums. Sie reichen vom Kleiderverleih über Klamottentausch bis zur Neuverwertung von Textilabfällen, dem sogenannten Upcycling.

Gerade teuer erstandene Ausgehfummel verstauben oft im Kleiderschrank. Deswegen kamen Sandra Trögl und Anna Veit schon vor zwei Jahren auf die Idee, in ihrem Secondhand-Shop „Veist“ Mode nicht nur zu verkaufen, sondern auch zu verleihen. Ein Service, der besonders an Weihnachten und Silvester stark nachgefragt wird. Das liegt sicher an dem sehr eigenen Sortiment, einer Mischung aus glamourösen Ballkleidern, trashigen Vintage-­Sachen (etwa einem Kunstpelz in ­Leopardenoptik), zurückhaltendem Berlin-Design und wilden Teilen aus den 60er- und 70er-Jahren. Sie stammen oft von älteren Damen aus der Nachbarschaft, die sich freuen, wenn ihr „gutes Stück“ auf Wertschätzung und Anerkennung trifft, erzählt Trögl. Damit die Geschichten zu den Klamotten nicht verloren gehen, schreibt Trögl sie auf und hängt sie an die Kleidungstücke – eine schöne Idee. So erfährt man etwa, dass die Besitzerin des mintgrünen Babydolls immer „Mad Men“ geguckt hat oder dass das schwarze Kleid mit dem Spitzenkragen ein Fehlkauf in Paris war.

750.000 Tonnen ausrangierter Textilien

Eine gute Möglichkeit zum Kleidertauschen bieten auch sogenannte Swap-Partys. Sie stammen ursprünglich aus den USA, finden aber auch hierzulande immer mehr Anhänger. So wie der „Klamottentausch“ im Lübarser LabSaal. Der historische Belle Époque-Raum mit Stuckdecke und Lüster am Rande Berlins verwandelt sich bereits zum vierten Mal in eine große Umkleide­kabine. „Jeder kann kommen und seine aussortierten Kleider und Schuhe mitbringen“, erklärt Mit-Organisatorin Patricia Schichl das Konzept. Die Kleidungsstücke werden am Eingang abgegeben, dort auf Qualität geprüft und dann nach Größen auf Kleiderstangen sortiert. Gegen eine Tauschpauschale von zwei Euro kann man sich im Anschluss so viel aussuchen wie man möchte. Das Ganze, betont Schichl, hat nicht den Charakter einer Schnäppchenjagd am Wühltisch. Es ist eher ein Nachmittag unter Freundinnen, die sich gegenseitig ihre selten getragenen Klamotten überlassen – und dabei Sekt trinken und Spaß haben.

Beim Kleidertausch treffen zwei Gedanken zusammen, die in der Modebranche immer noch schwer vereinbar scheinen. Die Lust auf neue Klamotten und Nachhaltigkeit. Tauschen sorgt für Abwechslung im Kleiderschrank und setzt trotzdem ein Zeichen gegen den Überfluss. Die Massenproduktion der Modeindustrie lässt unsere Kleiderschränke überquellen. Ketten wie Mango, H&M oder Zara drücken ihre Kollektionen in immer kürzeren Zyklen auf den Markt. Wenn ein Laufsteg-Look aus Paris gut ankommt, ist er binnen weniger Wochen kopiert und für einen Spottpreis in den Shoppingmalls erhältlich. Laut Greenpeace haben deutsche Verbraucher 2011 allein eine Milliarde T-Shirts gekauft. Das macht zwölf Shirts pro Bundesbürger.

Gleichzeitig erhöht der schnelllebige Konsum die Wegwerfmentalität: „Die Berge an abgelegter Kleidung werden von Jahr zu Jahr mehr“, sagt Thomas Ahlmann vom Verband FairWertung. Ungefähr 750.000 Tonnen ausrangierter Textilien landen in deutschen Sammelstellen. Das entspricht einer LKW-Schlange, die von Kiel nach München reicht. Etwa 40 Prozent davon ist noch als Secondhand-Artikel verwertbar. Der Rest wird geschreddert, zu Putzlappen verarbeitet oder landet in der Müllverbrennungsanlage.

»Ein cooler und witziger Weg, sich nachhaltig einzukleiden«

Dass man mit Textilabfall kreativ umgehen kann, beweist eine neue Spielart grüner Mode: Upcycling. So nennt man es, wenn Modemacher aus Textilabfällen neue Stücke entwerfen. Wie Sarah Schwesig, die alte Herrenbuxen in elegante Damenhosen verwandelt, mit zwei tiefen Kellerfalten am Gesäß und hohem Bund in der Taille.

Die Hosen stammen aus dem Fundus der Berliner Stadtmission. Die Hilfsorganisation hat ein Projekt ins Leben gerufen, bei dem Designer überschüssigen Kleiderspenden neues Leben einhauchen. „Water to Wine“ nennt sich das Label, im gleichnamigen Shop findet man neben Schwesigs Hosen auch andere interessante Sachen: etwa federleichte dunkelblaue Steppjacken mit XXL-Kragen und raffiniertem Schnitt.Entstanden sind sie aus ausrangierten Wetterjacken der Deutschen Bahn. Natürlich sei Upcycling nichts für jedermann, sagt Schwesig, „es ist ein cooler, witziger Weg, sich nachhaltig einzukleiden“. Und dabei höchst individuell.

Massenware gibt es schließlich schon genug.

Veranstaltungen:

16.+17.11 Heldenmarkt
Sa 10-20 Uhr, So 10-18 Uhr
Postbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8, Friedrichshain
Eintritt 7/erm. 5 Euro, Kinder unter 14 Jahre frei
www.heldenmarkt.de

24.11. Klamottentausch
12-16 Uhr, LabSaal, Alt-Lübars 8, Reinickendorf
Eintritt 4/erm. 2 Euro, wer Klamotten mitbringt 2/erm. 1 Euro
www.klamottentausch.net

24.11. Fashion Exchange von Frauen für Frauen
Markt mit 200 Ständen auf zwei Etagen: „Zweiter frühling“ im Untergeschoss mit Secondhand-Mode von privat zum Verkauf und „erster Frühling“ im Obergeschoss mit Berliner Boutiquen und Designern.
11-18 Uhr, Postbahnhof, Straße der Pariser Kommune 8, Friedrichshain
www.fashion-exchange.eu

Adressen:

Kleiderei in der Galerie Team Titanic
Mo-Mi 17-20 Uhr
Flughafenstr. 50, Neukölln
www.facebook.com/kleiderei

Veist Kleidergeschichten
Mo-Fr 14-20 Uhr, Sa 12-18 Uhr
Selchower Str. 32, Neukölln

Water to Wine Designladen
Mo-Sa 11-19 Uhr
Auguststr. 82, Mitte

Upcycling Fashion Store
Mo-Fr 11-19, Sa 12-19 Uhr 
Anklamer Str. 17, Mitte
www.upcycling-fashion.de