Die neue Dachterrasse unseres Verlages hat es ans Licht gebracht: Es gibt wohl eine Art Chlorophilie, eine heftige Neigung zum Grün, die mich vorübergehend fürchten ließ, sie sei zur fixen Idee geworden. Alles Grün machen zu wollen, die Betonwände der Siebziger-Jahre-Bauten im Westen, die so aussehen, als schwitzten darin Männer in weißen Unterhemden, die Dachpappe, die sich in der Hitze wellt. Die Ziegel, die in der Glut weiter backen, die kahlen Balkone der Nachbarn, hinter denen schmuddelige Vorhänge die Zimmer vor Sonnenstrahlen schützen sollen. So viel heiße Flächen, so viel ungenutztes Potenzial.
Das alles will ich begrünen, jetzt sofort. Die Dächer mit Gräsern, Minze, Lavendel und Salbei, mit Thymian und Schafgarbe. Die Fassaden mit wildem Wein und Kletterhortensien, mit Hopfen, Winden, Geißblatt, Efeu und Waldrebe. Die Balkone mit Zitronenbäumen und Bambus. Es ist mir alles zu heiß. Es ist sowieso zu heiß. Je weiter man in die Innenstadt kommt, desto stärker heizt die Sonne. Dunkler Asphalt, grillendes Autoblech. Am Alexanderplatz werden die höchsten Temperaturen gemessen. Und je mehr Jahre vergehen, desto ungehemmter glüht die sommerliche Stadt.

Noch nicht mal ne Katze auf dem Blechdach
Erstmals fantasierte ich so in Istanbul. Mein Gastgeber genoss von seinem Balkon einen Blick auf den Bosporus. Auf den Hängen, die zum Meer abfallen, taten sich Hunderte von Flachdächern auf, mit Wäscheleinen, hier und da einem Oleanderbusch im Kübel und sonst nichts und niemandem. Jeder, der bei Trost war, ruhte irgendwo im Schatten. Was könnte man hier begrünen!, dachte ich, und auf den restlichen Flächen Sonnenkollektoren aufstellen. Nie wieder Stromausfall in Istanbul. Doch davon sprach damals niemand. Nur auf der Istiklal, der Einkaufsstraße am Taksim-Platz, versuchten vier verlorene Greenpeace-Aktivisten, Informationszettel zum Thema zu verteilen, weil Erdogan statt Solarzellen ein Atomkraftwerk plant, ausgerechnet bei Istanbul, für das die Erdbebenprognose so sicher ist wie der Ruf des Muezzins vom Minarett, und ausgerechnet von der Firma, die die Meiler von Fukushima verbrochen hat.
Ur-Berliner behaupten gern, ihre Stadt sei grün. Nun ja, im Vergleich zu Istanbul. Aber von der Büroterrasse sehe ich auf ein Blechdach, an das man jetzt besser nicht mit nackter Haut kommt, in einen zugepflasterten Hinterhof, der als Parkplatz dient, am Horizont Hochhäuser aus Glas, in denen die Angestellten wohl einen Kollaps erlitten, würden nicht Klimaanlagen laufen. Der Strom dafür kommt zu einem Gutteil aus Lausitzer Braunkohle. Auch wir sind noch 20. Jahrhundert.
Kürzlich fiel mir eine Postkarte in die Hände, von Kletterfix, einer Initiative für grüne Wände in Leipzig. Auf ihren Internetseiten stellt sie Pflanzen vor, die auf Dächern und Fassaden gut gedeihen. „Wussten Sie, dass eine begrünte Wand im Sommer bis zu 30° C kühler ist als eine Wand ohne Kletterpflanzen?“ steht da. Ja, ahnte ich. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt wohl auch. Auf ihren Internetseiten findet sich jetzt eine neue Klimastudie aus Potsdam, die unter anderem zu dem Schluss kommt: die Berliner Stadtoberfläche müsse stärker begrünt werden, um „die Abkühlung der Stadt in sommerlichen Hitzephasen“ zu sichern. Wann der Senat den Worten wohl Pflanzen folgen lässt, 2018, 2020, 2050? Also, wer setzt den ersten Wein?