„Jetzt sind wir hier!“ – Jugendliche aus dem ganzen Bundesgebiet zeigen beim „Theatertreffen der Jugend“, was sie draufhaben

Text: Regine Bruckmann
Die Ankommenden werden freundlich empfangen und in einen mit Tüchern drapierten Vorraum geführt: „Willkommen in unserem Schambereich“, murmeln die Mädchen. Kuscheltiere räkeln sich auf einem Bett, ein vielstimmiges Flüstern ist zu hören.
Die jungen Darstellerinnen des Performancekollektivs Chicks* aus Bremen, einer freien Gruppe, in der junge Mädchen mit professionellen Theatermacherinnen arbeiten, thematisieren in „Chicks* United“ die weibliche Scham in mutigen, klugen Texten und Aktionen: „Sie erzählten sich Mythen über uns. Jahrhundertelang flüsterten sie sich zu, wer wir sind, wie sie sich uns wünschen. Sie lehrten uns die Scham. Jetzt sind wir hier.“
Jetzt sind sie da, die jungen Mädchen, und konfrontieren das Publikum mit Tabus und Schamgefühlen. Sie denken zum Beispiel über die gesellschaftliche Konstruktion des Jungfernhäutchens nach und spielen dabei mit glibbrigen, blutig aussehenden Plastikhäuten. Performance, klassische Bühnensituation und gemeinsam mit Zuschauern ausgeführte Rituale – eine große Bandbreite von Theaterformen wird hier gezeigt und ausprobiert.

Seit 1980 gibt es das Theatertreffen der Jugend, die Auswahl wird über einen Bundeswettbewerb getroffen. Das klassische Schultheater ist in diesem Jahr nur durch eine Gruppe vertreten, die Jugendclubs von Stadttheatern überwiegen.
Inzwischen bewerben sich auch immer mehr Freie Gruppen, teilweise sogar Jugendliche, die ohne Anleitung durch Erwachsene Theater machen. Theaterspielen sei in, sei „ein Teil der Menschwerdung“, stellt Christina Schulz fest, seit 2010 Leiterin des Bundeswettbewerbs. „Gerade heute bewegen sich junge Menschen permanent in einer Art Dauerperformance in den sozialen Netzwerken. Im Theater sucht man etwas Anderes. Da geht es auch um die Themen, die dahinterliegen.“
Nicht selten hatten auf dem Festival, das dem regulären Theatertreffen vor- oder nachgelagert ist, auch spätere Talente ihren ersten großen Auftritt, wie die inzwischen berühmte Sandra Hüller oder Julia Gräfner, heute Ensemblemitglied des Theaters Graz. Dennoch begreift Christina Schulz das Theatertreffen nicht als Talentschmiede, „sondern als Freiraum: Theater als Form, das Leben zu verstehen.“
Die jüngsten Akteure in diesem Jahr kommen vom Friedrich-Schleiermacher-Gymnasium aus Niesky, einer kleinen Stadt in Sachsen, nahe der polnischen Grenze. Als Sechstklässler haben sie sich unter der Anleitung von Theaterpädagogen mit dem Gilgamesch-Epos beschäftigt.
Im Probenprozess hat die Gruppe aus zehn Mädchen und einem Jungen ihr Verständnis von Theater komplett umgekrempelt. Aus der ursprünglich geplanten Märcheninszenierung wurde mit „Das Phantom von Uruk“ eine selbstbewusste Hinterfragung des Tyrannen Gilgamesch – „Also ehrlich, der ist doch voll der Spacko“ – und anderer Despoten dieser Welt.
Um zum Festival eingeladen zu werden, braucht es keine perfekte Schauspielkunst: „Es geht weniger darum, eine Rolle zu spielen, sondern zu ihr eine Haltung zu entwickeln“, erklärt Schulz. „Worum geht es dieser Figur? Was ist der Konflikt und wie würde ich dazu stehen?“
Der Prozess der Auseinandersetzung ist für die auswählende Jury genauso wichtig wie das Spiel selbst. Schließlich müssen die Jugendlichen ihre Produktionen in Gesprächen mit den anderen Gruppen auseinandernehmen können – alle acht eingeladenen Stücke werden in einer einwöchigen Workshop-Phase mit allen Beteiligten diskutiert. Von dieser Haltung profitieren auch die Besucher, die sich vom engagierten, persönlichen und politischen Spiel der Darsteller berühren lassen können.
13.–21.4., Haus der Berliner Festspiele, Schaperstr. 24, Wilmersdorf. Eintritt 8, erm. 6 € www.berlinerfestspiele.de