Parallelwelt namens Internet

Der Vernetzer

Er bearbeitet die Datenautobahn und spricht mit Computern. Fast jeder Berliner nimmt Steffen Davids Dienste in Anspruch. Nun wird sein Internetknotenpunkt zehn Jahre alt

Steffen David öffnet die Tür zu seinem Arbeitsplatz. Es kommt ihm ein Dröhnen in der Lautstärke eines fahrenden LKW entgegen. Mehr als tausend Server sind hier auf tausend Quadratmetern übereinander aufgetürmt und hinter Gittern verbarrikadiert. Den Lärm verursachen etwa 20 Klimaanlagen in der Größe von Kleiderschränken, die rund um die Uhr die Rechner kühlen. Steffen David ist einer von fünf ehrenamtlichen Vorständen des Berliner Internetknotens Berlin Commercial Internet Exchange (BCIX). Fast jeder Stadtbewohner nimmt täglich – meist ohne es zu wissen – mehrere Stunden seine Dienste in Anspruch. Durch den BCIX rasen die Daten wie Fahrzeuge über ein Autobahnkreuz. Einer der vier Standorte ist Davids Rechenzentrum „Carrier Colo“ in der Lützowstraße in Tiergarten. Hier betreibt David den lokalen Internetanbieter Internet Provider Berlin (IPB). 
Berlin lag in Sachen Internet lange im Dornröschenschlaf. Bis im März 2002 mehrere kleine Provider den BCIX gründeten. Auch durch die wachsende Kreativindustrie wird seither mehr und mehr Datenverkehr durch die Stadt getrieben. Der BCIX gehört inzwischen zu den wichtigsten Knoten des Landes. Dass der BCIX von kleinen Providern betrieben wird, macht ihn unter den acht bedeutenden Knoten in Deutschland zur Besonderheit.

Eigentlich wollte Steffen David Pianist werden. Sein Vater war Leiter einer EDV-Abteilung, die Mutter Informatikerin. 1976 zog die Familie aus Niedersachsen nach West-Berlin. Am Ende studierte David doch Wirtschaftsingenieurwesen – aus Vernunft, wie er sagt. An der TU Berlin kam er 1994 zum ersten Mal mit dem weltweiten Netz in Kontakt. Er war fasziniert von den Möglichkeiten des Informationsaustausches. Seine Studienarbeit handelte vom Internet. Er besorgte sich früh einen privaten Anschluss, damals für rund 50 D-Mark im Monat. „Die Computer waren bessere Taschenrechner“, sagt er. Die Idee hinter BCIX war, den kleinen Internetanbietern Geld zu sparen. Kleine Provider wie Steffen Davids IPB sind vor allem für Geschäftskunden da. Für Unternehmen sind sie deshalb interessant, weil sie maßgeschneiderte Lösungen liefern – im Gegensatz zu den Standardprodukten der Provider-Riesen wie 1&1 oder AOL. Deshalb hat Steffen David meistens sein MacBook dabei, um auf Probleme unterwegs sofort reagieren zu können. Die größeren Provider verlangen von den kleinen für den Zugang zum Netz eine Art Maut. Doch auch die großen Provider wollen ein möglichst verzweigtes Netz, damit die Daten nicht immer die gleichen Wege gehen und keine Staus entstehen. Hier helfen Internetknoten, wo Provider aller Art ihre Daten austauschen. Die Mitglieder brauchen dazu jeweils nur ein einziges Kabel, das zum Knoten führt. Die Maut entfällt.

Der BCIX hat heute über 50 Mitglieder. Da-runter auch der Provider der Bundesregierung. Auch die Firma Akamai hat einen Anschluss, über den Webseiten wie tagesschau.de, Facebook und Amazon laufen. BCIX ist zwar nicht kommerziell, doch der Knoten muss finanziert werden. Eine Verbindung kostet je nach Geschwindigkeit 100 bis 1.200 Euro im Monat. Das ist ein Bruchteil der Mautgebühren, die ohne Knoten anfallen würden. Steffen David nennt sein Rechenzentrum eine „Parallelwelt“. Hier stehen mehr als 200 Servertürme. Die gesamte Technik ist so schwer, dass nur eine spezielle Deckenkonstruktion sie halten kann. Der Quadratmeter trägt eine Tonne. Dagegen wirkt der BCIX ziemlich schlank: Es ist nur ein einzelner Turm, wo die Daten der Berliner Internetnutzer durchgejagt werden. Aus der Spitze kommen dünne gelbe Kabel. In Bündeln laufen sie an der Decke entlang, durch die Wände auf die Straße hinaus, wo sie unter der Betondecke verstaut sind. Eines der BCIX-Mitglieder ist ein russischer Internetanbieter. Ein kleines Schild an der Wand mit dessen Namen kennzeichnet die Leitung. Sie führt durch die Mauer in der Lützowstraße über das ukrainische Lemberg und Kiew bis nach Moskau. David hat ein Büro, aber sein eigentlicher Arbeitsplatz ist das Rechenzentrum. Für den BCIX wartet er hier die Anschlüsse. Manchmal vermisst er das Menschliche an all der Technik. Dann spricht er mit seinem Computer. „Das machen alle Techniker, um die Arbeit angenehmer zu machen.“ Hin und wieder aber braucht er einen Tapetenwechsel. So wie vor zwei Jahren, als er eine einsame Woche an einem norwegischen Fjord in einer Hütte verbrachte. Es war eine „bewusste Auszeit“. Was er nicht ahnte: Die Internetverbindung dort war exzellent.