Interview

Die Digitale Gesellschaft

Kampf ums Netz: Markus Beckedahl und Falk Lüke zeigen in ihrem Buch „Die Digitale Gesellschaft“, wie das Internet die Welt verändert. Ein Gespräch über unsere Zukunft

Herr Lüke, Herr Beckedahl, die Kapitel in Ihrem Buch sind sehr kurz. Weil sich die Generation Internet nicht länger konzentrieren kann?
Beckedahl: Genau, aber dafür können Menschen, die ihre ganze Jugend mit Counterstrike verbracht haben, Informationen schneller aufnehmen und sind multitaskingfähig. In vielen Berufen hilft das mehr, als ein Buch am Stück lesen zu können.

Können Sie Ihre Ansichten nicht auch in einem Blog erklären?
Lüke: Wir wollten auch ältere Menschen erreichen. Der Nerd soll etwas lernen, aber das Buch auch seinen Eltern schenken können, um zu zeigen, warum er so viel Zeit mit Netzpolitik verbringt. Dass es um mehr geht, als nur seine Spielzeuge. Dass die Digitalisierung Anforderungen an die Gesellschaft stellt. Und dass die Politik  nur sehr oberflächliche Antworten gefunden hat.

Sie fordern, Kreative zu stärken und stellen sich gegen die Übermacht der Verwerter, der Labels und Verlage. Warum haben Sie Ihr Buch nicht selbst herausgebracht?
Beckedahl: Wir haben keine Erfahrung mit Büchern. Also haben wir einen Verlag gesucht, der uns die Dienstleistungen Lektorat, Korrektorat und Vertrieb anbietet. Bei einem Blog brauche ich keinen Lektor und keinen Vertrieb, da bin ich mein eigener Verwerter. Und es gibt viele andere Bereiche, wo man früher abhängig war und es jetzt nicht mehr ist. Wenn man früher Musik gemacht hat, hatte man ohne Plattenlabel keine Chance, gehört zu werden. Heute kann ich mir aussuchen, ob ich über einen Verwerter publiziere oder selbst.

Die Verwerter dürfen also pleitegehen?
Beckedahl: Das ist der Kapitalismus. Wer keine funktionierenden Geschäftsmodelle hat, geht unter. Dafür sind wir nicht verantwortlich.

Sie haben eine sehr kritische Haltung zum Urheberrecht. Was sagen Sie, wenn jemand die PDF-Version des Buchs in eine Tauschbörse stellt?
Lüke: Verklagen werden wir die Person mit Sicherheit nicht. Die Leute kaufen sich das Buch trotzdem. Wenn man es aus einer Tauschbörse saugt und ausdruckt, kostet das ja fast so viel wie das Taschenbuch.
Beckedahl: Ich wäre enttäuscht, wenn es nicht in der Tauschbörse landet, weil das hieße, dass es total irrelevant ist.

Sie beschreiben Potenziale und Risiken der Digitalisierung. Welche Gefahren bietet das Netz?
Lüke: Überwachungsstaaten können damit ihr System perfektionieren. Man darf nicht vergessen, dass der Großteil der Staaten dieser Welt nicht demokratisch ist, unsere westlichen Werte nicht teilt. Und auch bei uns weiß die Werbeindustrie, auf welchen Seiten Sie so rumsurfen. Die Industrie sammelt Daten, um Werbung zu verkaufen und weckt damit Begehrlichkeiten beim Staat, auf diese Sammlung zuzugreifen. Zur Strafverfolgung oder um Dissidenten zu identifizieren. Das sollte man im Auge haben.

Derzeit wird oft über „Netzneutralität“ diskutiert. Was heißt das eigentlich? B
eckedahl: Netzneutralität ist die Basis dafür, dass das Internet so groß und offen geworden ist. Es war eine geniale Idee, die technologische Intelligenz von den Knotenpunkten an die Endpunkte, zu den Nutzern zu verlagern. Das hat dazu geführt, dass die Zugangsmöglichkeiten für Blogger, Dissidenten oder Startups ähnlich gut sind wie die von den großen Platzhirschen. Wenn wir jetzt die Telekommunikationsunternehmen bestimmen lassen, welche Inhalte schneller oder überhaupt durch das Netz geleitet werden, dann verlieren wir diese Offenheit.
Lüke: In mobilen Netzwerken hat man meist keine neutralen Netze, sondern darf zum Beispiel Internet-Telefonie nicht nutzen. Man kauft einen Internetzugang, aber eigentlich ist kein Internet drin, es ist eher eine Art Rundfunkanschluss. Eine gefährliche Entwicklung. Wenn Netzneutralität eingeschränkt wird, könnten Player wie Google oder Facebook dank ihrer Größe besonders gute Konditionen von den Providern erhalten, wohingegen Seiten wie Netzpolitik.org  schwer erreichbar wären.

Macht Ihnen die Vorstellung Angst, welche Macht Facebook oder Google eines Tages haben könnten?
Beckedahl: Es ist erschreckend zu sehen, dass es immer weniger Alternativen gibt, dass wir immer abhängiger werden von diesen Anbietern. Der Staat sollte freie, dezentrale Alternativen zu sozialen Netzwerken, zu Suchmaschinen nach dem Gießkannenprinzip fördern.

Welche Chancen bietet das Netz?
Lüke: Es macht die Welt kleiner. Wenn man ein T-Shirt bei H&M kauft, wäre es denkbar, dass man mit der T-Shirt-Näherin in Bangladesch auf Facebook befreundet ist. Auch beim Arabischen Frühling ist die Welt kleiner geworden: Die Revolution kam in die Wohnzimmer. In klassischen Massenmedien wäre das Thema nach drei Tagen versendet gewesen.
Beckedahl: Dazu besteht die Möglichkeit, dass das Netz einen riesigen Zuwachs an Wissen und kulturellen Produkten und Formen mit sich bringt. Und dass die Menschen mehr miteinander kommunizieren und ihnen klar wird: Ich bin nicht allein auf diesem Planeten. Wir haben alle etwas miteinander zu tun.

Was muss passieren, damit diese Chancen wahrgenommen werden?
Lüke: Die Politik beginnt gerade zu verstehen, was sie da versucht zu regulieren. Unternehmen beginnen zu verstehen, welche Technik sie entwickeln und was die Folgen sein könnten, beispielsweise bei Zensurtechnologie, die sie in den Iran liefern. Mit mehr Bewusstsein für die Probleme wäre schon viel geholfen, und wir würden klügere und grundrechtskonformere Entscheidungen erleben. Dafür brauchen wir auch Druck von der Straße, wie man ihn bei den Protesten gegen die Vorratsdatenspeicherung oder Acta erlebt hat.

Im Hartz-IV-Satz sind 2,28 Euro für Internetnutzung vorgesehen. Inwiefern ist damit eine Teilhabe an der digitalen Gesellschaft möglich?
Lüke: Damit kann ich ein paar Bewerbungen verschicken und das war es mit der Teilhabe. Das ist asozial. In fast jedem Job wird vorausgesetzt, dass man mit Computern alltäglich umgehen kann. Wie soll das jemand lernen mit 2,28 Euro im Monat?
Beckedahl: Das Internet könnte allen Menschen einen gleichberechtigten Zugang zum Wissen dieser Welt ermöglichen. Ein Sozialtarif für den Netzanschluss wäre ein erster Schritt dahin.

Damit die Hartz-IV-Empfänger den ganzen Tag Facebookspiele spielen können?
Lüke: Wenn sie mit Facebook und Onlinespielen lernen, wie sie alltäglich mit einem Computer umgehen, ist es schon wieder eine Berufsqualifikation mehr. Wir können da mitreden. Wir haben beide durch Computerspiele viel gelernt.

Zocken und dabei schlauer werden, funktioniert so das Lernen der Zukunft?
Beckedahl: Auf jeden Fall so, wie wir es als eine der ersten Generationen der Computerzeit gemacht haben, nämlich autodidaktisch. Wir mussten uns den Umgang mit dem Rechner selbst beibringen. Dabei haben wir gelernt, selbstständig zu lernen. Das wurde nicht in der Schule unterrichtet. Da wurde verlangt, dass wir Wissen in uns hineinfressen für die nächste Prüfung.
Lüke: Es gibt tolle Möglichkeiten, unabhängig zu lernen. Ein Typ erklärt Mathe auf YouTube. So einen Lehrer hätte ich gerne gehabt. Bei dem ich zurückspulen kann, wenn ich was nicht verstanden habe. Andererseits gibt es Dinge, die lernt man in der Schule ganz gut. Soziales Miteinander und ein paar Grundfertigkeiten. Wer zum Beispiel nicht lesen kann, hat am Computer ein echtes Problem. Aber den Großteil dessen, was Menschen ab der vierten Klasse lernen, benutzen sie nie wieder.
Beckedahl: Schulbücher sind auch eine furchtbar gestrige Idee, ständig veraltet. Durch die Digitalisierung bekommen wir viel aktuellere Lehrmaterialien, und durch einen Klick noch mehr Informationen. Statt die Schulbuchverlage mit Milliarden zu subventionieren, sollten wir freie Inhalte fördern, die jeder weiterentwickeln darf. Und was mit Steuermitteln erforscht wird, sollte für alle zugänglich gemacht werden und nicht nur für die Leser überteuerter Fachzeitschriften.

In Berlin gibt es gerade eine Schwemme von Internet-Startups. Entsteht hier die nächste Dotcomblase?
Beckedahl: Nein, denn im Unterschied zu der Zeit der ersten Blasen, der New Economy und des Web 2.0, gibt es spannende Projekte und auch Investoren dazu. Berlin hat die Möglichkeit, zur Internethauptstadt der Welt zu werden. Junge, hochausgebildete Menschen anzuziehen, die Ideen haben und etwas schaffen wollen. Weil die Stadt ein tolles Nachtleben hat und viel Kultur, viele Freiräume, günstige Mieten und eine große Weltoffenheit.
Lüke: Es kostet nicht viel, wenn man in Berlin etwas aufbauen will.
Beckedahl: Und du kannst eine ganze Menge Spaß nebenbei haben.
Lüke: Und auch das Wetter ist nicht unbedingt das schlechteste.
Beckedahl: Zwischen April und September.

Markus Beckedahl, Falk Lüke: „Die digitale Gesellschaft“. dtv, München 2012, 220 Seiten, 14,90 Euro