Medien

Flashmob der Gewalt

Wie rechts- und linksradikale Berliner im Internet Überfälle organisieren

Rechte Politiker werden zusammengeschlagen, linke Projekte angezündet. Ihre Adressen stehen im Netz. Auf öffentlich einsehbaren Listen finden sich Informationen zu Berliner Neonazis, Antifaschisten, linken und rechten Einrichtungen, aber auch zu Journalisten, Politikern und engagierten Bürgern. Es sind mehrere hundert Datensätze. Mit Aufforderungen wie: „Freuen sich bestimmt über Gastgeschenke“, oder: „Da weiß man in Zukunft, wo man Nachrichten hinterlassen kann“. In den Kommentarspalten der rechten und linken Seiten schaukelt sich der Hass hoch. Irgendwann geht wirklich jemand hin.

1.510 Neonazis und 2.260 Linksradikale stehen sich in Berlin laut Verfassungsschutzbericht feindlich gegenüber. Die meisten sind männlich und zwischen 18 und 28 Jahren alt. Es ist genau die Klientel, die sich auch im Netz auskennt. Hier verbreiten die Radikalen ihre Meinungen, werben für Demonstrationen, Seminare und Veranstaltungen, pöbeln in den Kommentarspalten der Gegenseite herum. Sie nutzen ausländische Server, Verschlüsselungs- und Anonymisierungsprogramme, um ihre Spuren zu verwischen. Und veröffentlichen Listen mit potenziellen Opfern.

Die mutmaßlichen Gegner werden mit vollem Namen genannt, je nach Stand der Recherche gibt es dazu Foto, Adresse, Geburtsdatum, Autokennzeichen, Arbeitgeber, Studienort oder Thema der Abschlussarbeit. Benedikt Lux, Grüner aus dem Abgeordnetenhaus, hat seinen Namen Mitte letzten Monats auf einer rechten Webseite gefunden. Darüber steht: „Aktivitäten der Linkskriminellen aus Berlin.“ Lux sagt:
„Die wissen nicht viel über mich, nur dass ich mal bei der Blockade eines Naziaufmarschs dabei war. Aber es ist beklemmend, sich auf so einer Liste zu finden. Ich versuche, immer aufmerksam zu sein, wenn ich aus dem Haus gehe, und lasse mich in meinem Engagement nicht einschränken.“

Um an die Daten zu kommen, betreiben beide Seiten hohen Aufwand. Sie hacken Kundendatenbanken von Versandhäusern der politischen Gegner oder missbrauchen Presseausweise, um auf deren Demonstrationen  aus nächster Nähe Porträts zu schießen. Oft verhindert nur das massive Polizeiaufgebot, dass die Fotografen vom Mob gelyncht werden. Oder sie besuchen Gerichtsverhandlungen, um die vollen Namen der Angeklagten erfahren und verbreiten zu können.

Und dann quillt der Hass aus dem Netz auf die Straße. Ende Juni wurden die NPD-Funktionäre Jan Sturm, Uwe Meenen, und Sebastian Thom von Menschen zusammengeschlagen, die jedem Opfer einzeln aufgelauert hatten. Die Fotos der Rechtsradikalen stehen auf den Antifa Berlin Seiten. Die vier linken Projekte, die kurz darauf Ziel von Brandanschlägen wurden, waren auf der Webseite Nationaler Widerstand Berlin zu finden. Nach dem Angriff auf die NPD-Politiker wurde in einem prominenten Naziforum eine angeblich vom Nationalen Widerstand stammende Rundmail veröffentlicht: „Brecht den Terror der Roten! Linke Lokalitäten sind auf der Berliner Widerstandsseite zu finden. Bewegt euren Arsch …“

Was auf beiden Seiten fehlt, ist ein direkter Aufruf zum Angriff. Die Sprache im Netz ist zweideutig, „juristisch nicht fassbar“, sagt Stefan Redlich vom Landeskriminalamt. Die Polizei darf nicht ermitteln. Die Betroffenen können zwar eine Verfolgung wegen Verletzung des Persönlichkeitsrechts beantragen. Aber die Server stehen in der Regel im Ausland. Und wegen geringfügiger Vergehen wird kein internationaler Rechtsverkehr angeschoben.

Wo es keine Handhabe gibt, tritt der Staatsschutz an das Familienministerium heran, das solche Seiten aus Jugendschutzgründen bei Google und anderen Suchmaschinen sperren lassen kann. Die Seite Nationaler Widerstand Berlin ist seit Ende April nicht mehr auffindbar – wenn man nicht die Adresse kennt.

Erst wenn Straftaten begangen werden, hat die Polizei eine Chance, gegen die Personen hinter den Seiten vorzugehen. Meist sind es die Rechten, die sich mit Volksverhetzung, Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen oder Holocaustleugnung Ärger einhandeln. Es gibt für Neonazis eigene Video-kanäle, Bloggingdienste und soziale Netzwerke, über die die Propaganda verbreitet wird.

Aber in den USA, wo ein Großteil der rechten Propaganda liegt, kann man so viele Hakenkreuze zeigen, wie man will. Andere Staaten assistieren der Staatsanwaltschaft aus Prinzip nur langsam oder gar nicht. Manche Provider speichern nicht, wer wann was geschrieben hat. Besonders angreifbare Beiträge werden von Internetcafés aus abgesetzt. Im Fall eines rechten Internetradios aus Tegel hat die Polizei Glück gehabt: Der Traffic des Sendebetriebes war so hoch, dass sich nicht mehr verschleiern ließ, wer dahintersteckt. Ende Mai klickten bei sieben Personen die Handschellen.

Auch wenn Strukturen und Vorgehensweisen sich ähneln, gibt es entscheidende Unterschiede zwischen Links- und Rechtsradikalen. Die Linken kommen im Netz weit seltener mit dem Gesetz in Konflikt. Wenn dort gegen sie ermittelt wird, dann weil sie es zur Veröffentlichung von Bekennerschreiben nutzen, oft über die Nachrichtenseite Indymedia. Die Attacken der Linken sind einem Ziel untergeordnet, deshalb müssen sie vermittelbar sein. Ein möglichst breites Publikum soll verstehen, worum es geht. „Nach unserer Ansicht ist es wichtig, Nazistrukturen auch außerhalb des eigenen Kiezes zu bekämpfen“, heißt es da. Oder: „Mieterhöhung, Verdrängung, Lohnkürzung, Arbeitslosigkeit – der kapitalistische Wahnsinn verdient unseren Gegenangriff.“

Hier liegt laut Stefan Redlich vom Landeskriminalamt der zentrale Unterschied zwischen rechter und linker Gewalt. Denn die Rechten bekennen sich so gut wie nie. Sie müssen sich nicht rechtfertigen. Wenn sie angreifen, folgen sie aus der Situation heraus ihrem Hass. Und ein bisschen den Stimmen aus dem Internet.