Rauf aufs Rad!

Interview mit den Radtourprofis Paul und Hansen Höppner

Radeln heißt Glücklichsein. Die Zwillinge Paul und Hansen Höppner sind deshalb gleich bis nach Shangai gefahren. Dem muss man ja nicht gleich nacheifern –  aber mit dem nötigen Wissen und der richtigen Ausrüstung macht auch in Berlin das Radeln noch mehr Spaß. Ein Interview – und die besten Tipps für die neue Saison

Mit dem Fahrrad raus in die Welt. Den Traum, einfach auszusteigen und loszufahren, hegen viele. Die Neuköllner Paul und Hansen Höppner, beide 32, haben es getan. Sie sind von Berlin nach China geradelt. 13.600 Kilometer quer durch Russland, Kasachstan und Tibet. Mehr als sechs Monate waren sie unterwegs. Ihr Abenteuer verarbeiteten sie in einem Dokumentarfilm und dem Buch „Zwei nach Shanghai“ – mit über 10.000 verkauften Exemplaren ein Spiegel-Bestseller.

Paul und Hansen Höppner auf Achse Foto: Carolin Saage

Zwei Jahre ist Ihre große Reise nach China nun her. Wie fühlt es sich seitdem an, durch Berlin zu fahren? Paul: Als ich zum ersten Mal nach der Tour auf meinem Stadtrad gesessen habe, wäre ich fast umgekippt, weil es so wenig wog. Die Stabilität fehlte. Zudem das Abenteuer. Das Aufwachen irgendwo in der Steppe, mitten im Nirgendwo frühstücken, zusammenpacken, losfahren.

Der Drang, wieder loszufahren, ist also noch  da? Hansen: Auf jeden Fall.

Wieso eigentlich mit dem Fahrrad? Andere laufen, fliegen, trampen. Paul: Das Fahrrad hat den Vorteil, dass man alle Strecken wirklich autark zurücklegen kann. Durch die Wüste könnte man nicht laufen, weil man zu viel Wasser tragen muss. Mit dem Fahrrad hat man zugleich einen Gepäcktransporter.

Wie viel Kilo hatten Sie pro Person dabei? Hansen: Zwischen 40 und 60 Kilo. Immer abhängig davon, wo wir uns befanden. In der Wüste müssen Wasser und Lebensmittel mitgenommen werden, da waren es 60 Kilo. Losgefahren sind wir mit 40 Kilo, weil es hier einen Supermarkt nach dem nächsten gibt.
Paul: Mit dem Auto ist man abhängig von Benzin, von komplizierter Technik. An Fahrrädern kann man im Grunde alles selbst reparieren. Selbst wenn eine Felge bricht, dann bindet man notfalls eine Jeans drum und fährt die nächsten hundert Kilometer weiter. Mit dem Auto stehst du da und brauchst Hilfe.
Hansen: Und du befindest dich auf einer Augenhöhe mit den Leuten im Land. Im Auto schießt du in einer Kapsel mit 120 Stundenkilometern über die Landstraße. Wenn da ein Opa am Straßenrand steht und winkt, dann winkst du kurz zurück, und das war’s.

Wissenschaftler sagen, die maximale Geschwindigkeit, in der ein Mensch seine Umgebung bewusst wahrnehmen kann, liegt bei maximal 25 bis 30 Kilometern in der Stunde. Paul: Das kennt wohl jeder, der mal in den ­Urlaub geflogen ist. Man benötigt Zeit, um anzukommen. Wenn man sich aber von hier bis nach Shanghai Meter für Meter mit dem Fahrrad durch alle Kulturen bewegt, wird der Verlauf fließend. Das Gehirn hat die Möglichkeit, alle kleinen Änderungen zu verarbeiten. Es gibt einem das paradoxe Gefühl von extremer Nähe und Ferne ­zugleich. Es existiert keine räumliche ­Trennung zwischen Berlin und Shanghai. Alles ist eins. Zugleich ist der Ort unglaublich weit weg, weil man immerhin vier ­Monate unterwegs gewesen ist, um hinzukommen.

Vergleichbar mit einem Astronauten, der die Erde als Ganzes wahrnimmt? Paul: Ja, die Erde ist um einiges kleiner geworden. Aber auch größer. Ich weiß nun, dass es eine direkte Straße von Berlin nach Shanghai gibt. Und überall an dieser Straße leben Menschen.

»Wenn man sich von hier bis nach Shanghai Meter für Meter
mit dem Fahrrad durch alle Kulturen bewegt, wird der Verlauf fließend.
Das Gehirn hat die Möglichkeit, alle kleinen Änderungen zu verarbeiten«
 

Wie lang war Ihre längste Tour davor? Hansen: Da ging es von Berlin zu den Lofoten, im Norden Norwegens. Wir haben einen Monat gebraucht, 30 Tage, etwa 3.200 Kilometer.

Entwickelt man während einer solchen Tour den Traum, noch weiter zu fahren? Paul: Währenddessen denkt man eigentlich nur daran, dass man vorankommen muss. Während der Norwegenfahrt hat es an 24 von 30 Tagen nur geregnet.  Es war furchtbar kalt. Aber als wir ankamen, schien dort das erste Mal seit Wochen die Sonne. Es war wunderschön. Sich einen Ort so hart zu erarbeiten, macht ihn noch wertvoller. Je mehr man sich durchbeißt, desto schöner wird es am Ende.

Wie beim Bergsteigen. Hansen: Genau. Das kennen Leute, die extreme Berge besteigen und immer höher hinaus wollen. Je anstrengender, abenteuerlicher und exotischer, desto besser ­schmeckt das Ziel.

Und vorher geht man ins Fitnessstudio und trainiert für die große Reise? Hansen: Nein, haben wir nie gemacht.  Vor der Reise nach Shanghai haben wir sechs Monate so gut wie keinen Sport getrieben, weil wir die ganze Zeit nur mit der Planung beschäftigt waren. Am ersten Tag sind wir nur 25 Kilometer gefahren, am letzten 235.

Kann also jeder diese Tour machen? Paul: Es ist weniger eine Frage der körperlichen Fitness. Eine viel wichtigere Rolle spielt die Psyche, das Durchhaltevermögen. Es ist gut, wenn man den richtigen Partner hat. Mit dem man sich streiten kann, aber auch wieder vertragen. Der einen motiviert und dessen Fähigkeiten sich mit den eigenen ergänzen.

Einige wollen zu sich selbst finden, Sie wollten zueinander finden? Paul: Die Motivation ist immer verschieden. Es gibt Leute, die es aus sportlicher Herausforderung machen, die vielleicht einen zeitlichen Rekord aufstellen wollen oder Distanzrekord. Dann gibt es Leute, die so etwas machen, um ihre Trennung zu verarbeiten. Wir wollten uns wieder näher kennenlernen, weil wir lange Zeit nichts mehr miteinander zu tun hatten.
Hansen: Wir haben auch das Abenteuer gesucht, wollten auf unvorhersehbare Dinge stoßen.


Sechs Monate, unzählige Geschichten: mit dem Fahrrad nach Shanghai

Eine gute Schule des Lebens. Hansen: Genau, es fängt mit einfachen Sachen an. In Kasachstan hatten wir kein Gas mehr. Das ist ein gutes Beispiel für unsere Blauäugigkeit, mit der wir an die Sache rangegangen sind. Dort gibt es kein Campinggas, weil keiner campen geht. Man braucht also einen anderen Brenner. Wir haben uns einen Ofen aus Blechdosen gebaut, die wir am Straßenrand gefunden haben. Als Brennmaterial dienten Pferdeäpfel.

Lernt man dadurch das Einfache schätzen? Paul: Wenn man die Leute da anguckt, die haben nichts, sind teilweise richtig arm und dennoch glücklich. Die haben ihre Familie und sind glücklich damit.

Die Bedeutung von Geld relativiert sich? Paul: In vielen industrialisierten Ländern wird einem erzählt: Um wirklich frei zu sein, musst du viel besitzen. Durch Geld erkaufen wir uns Freiheit.

Stimmt das nicht auch in gewisser Weise? Die Freiheit durch die Welt zu fahren, hatten nur Sie. Der Bauer in Kasachstan kann sich so ein Abenteuer nicht erlauben. Er muss auf seine Tiere aufpassen. Hansen: Das ist auch ein Grund, weshalb ich auf keinen Fall ausschließlich Touren fahren möchte. Es gibt Leute, die wollen nur noch Riesenexpeditionen unternehmen. Dann stimmt aber die Basis nicht mehr. Sie lassen sich durch die Gesellschaft finanzieren, aber entfernen sich immer mehr von ihr.

Was ist das Teuerste an so einer Fahrt? Hansen: Die Welt ist kein Kinderspielplatz. Vor allem Strafen und Schmiergelder haben unser Budget belastet. Jeder muss irgendwann zahlen, weil er die Schnellstraße benutzt, da es keinen Fahrradweg gibt, oder irgendwo schläft, wo es nicht erlaubt ist. Man hat ein Budget, aber man kann nicht alles perfekt planen.

Welches Land hat Sie positiv überrascht? Hansen: Das war Kirgistan. Das kleinste Land auf unserer Route. Es war mit Abstand das schönste, mit den freundlichsten Menschen. Anfangs wurden wir mit Stöcken und Steinen beschmissen, weil man uns für Amerikaner hielt. Die sind dort noch unbeliebter als die Russen. Wir haben dann eine Deutschlandfahne und eine kirgisische Flagge ans Fahrrad gemacht und alles war gut. Die Menschen sind extrem freundlich, und die Landschaft  ist atem­beraubend: kristallklare Gebirgsbäche, Seen, bis zu 7.000 Meter hohe Berge.
Paul: Tibet aber auch. Insofern würde ich nicht sagen, Kirgistan war am schönsten, aber die größte Überraschung. Direkt ab der kirgisischen Grenze ging es hoch in die Berge. Dort kam ein Bergsee mit Staudamm und einer wunderschönen Aussicht. Es gibt ein Video von uns, in dem man sieht, wie bewegt Hansen ist. So viel Schönheit auf einen Schlag.

Haben Sie Deutschland während der Fahrt vermisst? Paul: Ja, zeitweise schon. Aber das wechselt. Nach einer Weile liegt das Land in weiter Ferne und passt nicht mehr in das Leben auf dem Fahrrad.

Spontan zum Arzt gehen? Paul: Das vermisst man nicht wirklich, weil man sich darauf einstellt. Aber man vermisst so etwas wie eine heiße Dusche. Wenn man die dann hat, ist es ein absoluter Traum. Oder sei es nur eine anständige Toilette. Aber gleichzeitig stellt sich irgendwann dieser Punkt ein, dass das, was man vermisst, nicht zu dem Leben auf dem Fahrrad gehört. Dafür entwickeln sich ganz neue Freuden: In einen kalten ­Gebirgsbach springen, um sich zu waschen. Sowas ist dann der Ersatz für eine heiße Dusche.

Vermisst man die Berliner Kultur? Paul: Wir hatten Techno dabei und haben uns irgendwann Lautsprecher an ein Fahrrad montiert. Ich habe mich trotzdem tierisch auf das Feiern mit Freunden gefreut. Für mich war es in so weiter Ferne, dass es wie ein Traum wirkte.

Können Sie eigentlich noch einen Radausflug in Brandenburg genießen oder fehlt da das Abenteuer? Hansen: Im Sommer haben wir eine Fahrradtour durch Brandenburg unternommen. Es waren zwar nur 70 Kilometer zu einem kleinen Festival von einem Freund, aber auch sehr schön. Brandenburg ist flach, grün und dünn besiedelt. Es hat schon Spaß gemacht.

Man verliert also nicht die Begeisterung für die Heimat? Es soll Leute geben, die eine Fernsucht haben. Paul: Es heißt, glaube ich, Neophilie. Die Liebe zum Neuen, Unbekannten. Der Begriff Philie ist aber mit einer Zwanghaftigkeit verbunden. Leute, die das Bekannte nicht wertschätzen können. Ein wenig geht es mir leider auch so.

Was ist das nächste Ziel? Paul: Grob haben wir ins Auge gefasst, von Feuerland nach Alaska zu fahren. Das sind 27.000 Kilometer. Kolumbien wird ein Problem, Panama und der undurchdringliche Urwald. Kriminalität und Drogensucht sind in diesen Ländern viel schlimmer. Aber auch dort gilt: Ob man weiterfährt, kann man nur vor Ort entscheiden. Und im Ernstfall muss man clever genug sein und sagen: Was ich hier erlebe ist mir zu riskant, ich muss abbrechen.

Shanghai ist zu weit? Dann ab nach Brandenburg!