»Die Deutschen haben ein Problem mit Mode«

Nadine Barth

Der neue Bildband „German Fashion Design“ beleuchtet 66 Jahre deutsche Modegeschichte. Ein Gespräch mit Herausgeberin Nadine Barth über Entwicklungen, Trends und Chancen

Frau Barth, brauchen wir ein weiteres Buch über die Geschichte der deutschen Mode?
Es ist erstaunlich, aber es gibt nichts dergleichen. Da sind zwei, drei Bücher, die sich auf den wissenschaftlich-historischen Aspekt konzentrieren und die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg beleuchten. Dann gibt es Einzelpublikationen über verschiedene Labels. Aber nichts, was die jüngere Geschichte erzählt.

Sie konzentrieren sich auf die Jahre ab 1946 – warum?
Die Kriege, die Zeit dazwischen, die Vertreibung, all das würde ein eigenes Buch rechtfertigen. Ich entschied mich für 1946, weil Heinz Oestergaard, einer der bedeutendsten Modeschöpfer der Nachkriegszeit, damals sein Atelier in seinem Grunewalder Wohnzimmer gründete.

Wie entstand die Idee zu dem Buch?
Das war im letzten Jahr nach einer Show. Da saß ich mit einigen Moderedakteurinnen zusammen, es ging um deutsche Designer. Sie waren der Meinung, dass deren heutige Präsenz neu sei. In den 80ern aber waren deutsche Designer auch eine Marke.

Was Sie wissen, weil Sie damals als Model arbeiteten …
Ich lief bei den Schauen mit. Mir war immer bewusst, dass diese neue Entwicklung dann unterbrochen wurde. Als Anfang der Nuller Jahre in Berlin plötzlich Labels entstanden, die Messen Premium und Bread & Butter gegründet wurden, taten alle so, als sei das etwas ganz Neues, als würde hier an die Zeit vor dem Krieg angeknüpft, als es am Hausvogteiplatz all die Schneiderateliers gab. Dass es dazwischen, in den 80ern, auch eine Geschichte gab, ist den wenigsten bewusst.

In dem Kapitel über das 80er-Jahre-Hoch steht aber lediglich: „Der große Boom blieb aus“. Warum?
Das ist gut erkennbar an der Designerin Daniela Bechtholf: Die war in den 80ern sehr erfolgreich, galt als Hoffnung der deutschen Modeszene. Als sie aufhörte, waren ihre Order-Bücher voll. Zu dem Zeitpunkt hätte sie in Vorfinanzierung gehen und einen Investor nehmen müssen.
Und das wollte sie nicht. Zu Recht. Schauen wir uns das heute an, stellen wir auch fest: Viele Berliner Labels, die in den letzten Jahren entstanden sind, haben sich schon zu einem viel früheren Zeitpunkt auf einen Investor eingelassen und sind teilweise  böse damit baden gegangen.

Sie spielen auf die Labels rund um die mittlerweile insolvente Icon Fashion Group an – oder gibt es noch andere?
Das ist ein heikles Thema zu dem ich nicht viel sagen möchte. Der Name Icon Fashion Group fällt in meinem Buch nicht. Die meisten Gerichtsverfahren laufen ja noch. Aber Wolfgang Joops Wunderkind hatte auch einen Investor – kürzlich trennte man sich nach diversen Problemen.

Wie ist das in anderen Ländern?
In Italien beispielsweise gibt es hinter jedem Designer eine Konfektion. Die Modehäuser leisten sich das, investieren in ein Talent, finanzieren Schauen und alle möglichen Kapriolen. So bauen sie Designer langfristig auf und können deren kreative Kraft für ihre Sache nutzen. Die deutschen Konfektionäre aber sind nicht bereit, so viel zu investieren. Das ist eine ganz andere Struktur. Wir haben hier junge Designer, die es schaffen könnten. Aber es gibt keine Geldgeber, die daran glauben.

Volker Tietgens glaubt daran.
Das ist der Investor der erfolgreichen Berliner Marken Michael Michalsky und Kaviar Gauche. Nun ist nicht nur das Geld entscheidend. Es werden hier oft zu früh Hoffnungen geweckt. Viele Labelbetreiber, die sich gründen, denken: „Toll, ich habe einen Preis gewonnen, da ist ein kleiner japanischer Vertrieb, der meine Sachen verkaufen möchte – jetzt werde ich Designer“. Dabei verkennen sie, dass man einen langen Atem und Know-How über Vertrieb und Marketing braucht. Das sind keine wirtschaftlich versierten Leute. Selbst ein Yves Saint Laurent hatte einen Pierre Bergé an seiner Seite, der sich um das Geld und die Organisation gekümmert hat.

Jüngst präsentierte die „Vogue“ den wichtigsten Einkäufern viel versprechende Berliner Nachwuchslabels. Derzeit widmen sich zwei große Ausstellungen dem Thema Mode – zeigen solche Dinge nicht, dass es doch voran geht?
Es geht voran, aber es sind kleine Schritte, es muss noch viel mehr passieren. Oft gucken junge Labels, was die anderen machen, was verkauft sich. Aber wichtig ist auch, dass sie eine eigene, interessante Handschrift entwickeln.

Hat die Berliner Mode eine eigene Handschrift – braucht sie eine?
Ich finde nicht. Der viel beschworene „Berliner Stil“, der für einige gilt, dieses Abgerockte, Improvisierte, Transitorische – das steht einzelnen Charakteren eher im Weg, wenn man ihre Entwürfe nur darauf runterbrechen möchte. Jeder Designer sollte seinen eigenen Weg gehen, egal in welcher Stadt er lebt. Natürlich haben Talente hier den Vorteil, sich an Berlin, der Kunst- und Musikszene reiben zu können – daraus können interessante Looks entstehen, aber nicht automatisch. Wie der Modejournalist Peter Bäldle in der Einleitung sagt: Man muss sich auch auf die Tradition besinnen und einen komplexeren, geistigen Zugang finden und nicht nur eine coole Kollektion entwerfen und dann eine Party schmeißen.

Bäldle sagt auch: „In Deutschland fehlt das Interesse und damit die Grundlage für deutsche Mode.“ Ein hartes Urteil.
Natürlich gibt es ein Interesse für Mode in Deutschland. Aber es ist nicht annähernd so stark wie in Italien oder Frankreich. Es gibt wenig Modeberichterstattung in den Zeitungen. Im „Figaro“ gibt es jeden Tag eine Modeseite. In der „Süddeutschen Zeitung“ ist das dann in der Wochenendbeilage verpackt. Wann wird in den deutschen Feuilletons schon mal über Mode geschrieben?

In dem Buch gibt es ein Bild aus dem Magazin „Allegra“ von 2002. „Ist deutsche Mode tragbar?“ wird da gefragt. Wie ist das heute?
Das ist eigentlich das Problem der deutschen Mode. Sie ist viel zu tragbar. Die deutsche Konfektion ist wahnsinnig stark und erfolgreich, weil sie so tragbar ist.

Ein ganzes Kapitel Ihres Buches widmet sich den Designern mit künstlerischen Ansätzen, die sich vom Tragbaren wegbewegen.
Was wir in den Läden haben, sind Marken wie S. Oliver und Marc O’Polo. Das ist alles deutsche Mode. Künstler wie Lutz oder Patrick Mohr sind toll, aber spielen wirtschaftlich überhaupt keine Rolle. Das sind Insiderlabels, die ein Insiderleben führen.

Ein Satz im Buch lautet: „Ihr müsst Euch ernster nehmen, nicht nur immer um Entschuldigung bitten, dass Berlin nicht Mailand oder Paris ist“, – ein Zitat einer Modekritikerin des „Harpers Bazaar“ von 1987. Diesen Satz liest man so oder so ähnlich auch heute ständig. Wo bleibt unser Selbstverständnis?
Das benötigt noch Zeit. New York hat zehn Jahre gebraucht. Während der ersten Fashion Weeks gab es dort eine oder zwei Schauen am Tag. Berlin ist da schon jetzt sehr viel schneller.Das Zitat ist von 1987 – das ist 24 Jahre her. So kann man aber nicht rechnen. Als 2003 die Modemessen nach Berlin kamen, die ersten Labels sich gründeten, begann eine neue Zeitrechnung, die Mercedes-Benz Fashion Week gibt es erst seit 2007. Wir sind schon sehr weit.

Immer wieder heißt es: Mode wird in Deutschland nicht als Kulturgut betrachtet, eher noch als Wirtschaftsfaktor. Woran liegt das?
Auch der Wirtschaftsfaktor Mode wird viel zu wenig wahrgenommen. Die Medien konzentrieren sich zu sehr auf die jungen Designer, stellen sie ständig vor. Die exzentrischen Typen haben eben spannendere Geschichten zu erzählen als das Designteam eines großen Konfektionshauses wie St. Emile.
Und warum gilt Mode hierzulande nicht als Kulturgut? Die Deutschen haben ein Problem mit Mode. Von ihrer Natur her. Man möchte selten auffallen. Deswegen gehen alle in die Kaufhäuser und wählen das, was auch der Nachbar trägt. Da wird nicht viel Gewese drum gemacht.

So lange die breite Masse sich besonderer Mode verweigert, kann sich da Berlin als Modestadt überhaupt weiterentwickeln?
Das ist ein Problem und eine Aufgabe der Medien. Wir müssen noch viel mehr Geschichten über Mode erzählen, mehr Bücher schreiben, mehr berichten. Nur so kann sich etwas ändern.

Weitere Informationen: German Fashion Design, Distanz Verlag 2012, 300 Seiten, 44 Euro