Essen & Trinken

So schmeckt Berlin

Die Küche der Hauptstadt hat mehr zu bieten als nur Bulette und Hackepeter. Wir stellen 26 Restaurants vor, die beispielhaft für Kreativität und ungewöhnliche gastronomische Konzepte stehen

Mal ehrlich. Wenn Sie einem Besucher Berlin zeigen müssten, würden Sie bestimmt nicht ins Nikolaiviertel fahren. Ob Mitte-Style, Kudamm-Boulevard, Mythos Kreuzberg oder Brutstätte Prenzlauer Berg – alles ist spannender als die historisierenden Fassaden der angeblichen Altstadt, die sich seit Jahrzehnten nicht verändert hat, die sich auch nicht verändern soll, weil sie immerhin  an die Anfänge Berlins erinnert.

Auch das was man gemeinhin als Berliner Küche serviert bekommt, erinnert an die Anfänge – allerdings an wenig glanzvolle. Denn der Berliner suchte damals nicht nach Genuss, sondern nach Sättigung. Rüben, Kohl und Biersuppe bestimmten den Speiseplan. Erst als Friedrich Wilhelm, der Große Kurfürst, im Jahre 1685 die verfolgten Hugenotten einlud, hier nach ihrer Façon glücklich zu werden, kam eine Fülle neuer Gerichte nach Berlin.

Der gemeine Berliner, aus Dickköpfigkeit oder Unvermögen, kopierte aber nicht, sondern passte die Rezepte der eigenen Anspruchslosigkeit an. Aus variantenreicher Fleischpastete wurde die Bulette, aus dem edlen Beef Tartare der Hackepeter und aus feinem Fricassé de Poulet, das anfangs noch mit Morcheln, Spargel und Flusskrebsen zubereitet wurde, profanes Hühnerfrikassee. Die Traditionsgaststätten zehren noch heute davon. Maßgeblichen Einfluss auf die Berliner Küche hatte auch der Enkel von Friedrich Wilhelm: Friedrich der Große führte nicht nur die Kartoffel ein, sondern auch eine Salzsteuer, um seinen Militärapparat zu finanzieren. Damit die neue Steuer auch Wirkung zeigt, verpflichtete der Alte Fritz gleichzeitig jeden Bürger zum Mindestverbrauch beachtlicher Salzmengen. Das Volk, was blieb ihm auch übrig, machte aus dem Zwang eine Tugend, pökelte und salzte, was die Salinen hergaben. Solei, Rollmops und Salzhering, aber auch die Salzgurke dürften so in den Berliner Speiseplan eingezogen sein.

Die Berliner Kochtradition ist vor allem eine Geschichte voller Entbehrung, staatlichen Determinismen und fehlgeschlagener Plagiatsversuche – das traurige Erbe preußisch-protestantischer Genussfeindlichkeit. Aber Berlin hat sich verändert, viele Male. Und mit der Stadt und immer neuen Bewohnern auch die Küche. Und da gibt es echte Fortschritte zu vermelden. Denn der Vorteil des kulinarisch armseligen Erbes ist, dass sich Berlins Köche keiner wirklichen Tradition verpflichtet fühlen müssen, sondern neue, ganz eigene Wege beschreiten dürfen. Sie haben gelernt, schamlos zu assimilieren, alles aufzusaugen, zu verwursten und zu Neuem zu formen. Fleisch am Drehspieß zu grillen, ist keine ganz neue Idee, es dann aber als Döner Kebab mit Sauce und Salat handlich ins Brot zu packen, ist eine Berliner Erfindung.

Die Fähigkeit, alle möglichen Einflüsse aufzunehmen und zu einem eigenen gastronomischen Stil zu verarbeiten, macht aber bei den Rezepten nicht halt. Typisch für Berlin ist das interdisziplinäre Arbeiten. Hier mischen sich Kunst, Mode, Architektur und Musik auf experimentelle Weise zu neuen Ausdrucksformen. Die Berliner Küche im Jahr 2011 ist deshalb eine alle Sinne ansprechende, ja manchmal sogar eine intellektuelle Angelegenheit. Sie verbindet ungewöhnliche Orte mit ebenso ungewöhnlichen kulinarischen Konzepten. Sie spezialisiert sich, reduziert das Angebot kompromisslos auf eine Idee und lässt alles andere weg. Sie polarisiert. Und sie assimiliert Gerichte der Einwanderer, mischt sie mit heimischen Zutaten und bringt etwas hervor, das so nur hier, nur in einer multiethnischen Stadt entstehen kann. Oder sie verbindet Kunst mit Kochen – als kulinarisches Gesamterlebnis oder als kunstästhetisches Statement auf dem Teller.

Die Restaurants und Imbisse, die wir für Sie zusammengestellt haben, sind nicht zwangsläufig die besten der Stadt, nicht die neuesten oder gar die geheimsten. Aber sie sind typisch Berlin: Vielfältig, kreativ, unberechenbar und ständig im Wandel.

Ach ja: Zur großen Vielfalt Berlins gehört natürlich auch das Nikolaiviertel mit seinem eigenen Charme. Deshalb finden Sie auf Seite 40 Berlins  Beste Traditionsrestaurants.

 

  • Die Atmosphäre macht’s

Michelberger Mittagstisch, Warschauer Str. 39-40, Friedrichshain

Kater Holzig, Michaelkirchstr. 23, Mitte

White Trash Fast Food, Schönhauser Allee 6-7, Prenzlauer Berg

Cantina im Tausend, Schiffbauerdamm 11, Mitte

.HBC, Karl-Liebknecht-Str. 9, Mitte

  • Kreative Konzeptküche

Tim Raue, Rudi-Dutschke-Str. 26, Kreuzberg

Susuru, Rosa-Luxemburg-Str. 17, Mitte

Filetstück, Schönhauser Allee 45, Prenzlauer Berg

Chi Sing, Rosenthaler Str. 62, Mitte

Little Otik, Graefestr. 71, Kreuzberg

Dos Pallios, Rosenthaler Str. 53, Mitte

Zula, Husemannstr. 10, Prenzlauer Berg

  • Es war einmal …

Lavanderia Vecchia, Flughafenstr. 46, Neukölln

Burgermeister, Oberbaumstr. 8, Kreuzberg

Bandol Sur Mer, Torstr. 67, Mitte

Fleischerei, Schönhauser Allee 8, Mitte

Sage, Köpenicker Str. 18-20, Kreuzberg

Volt, Paul-Linke-Ufer 21, Kreuzberg

  • Die Welt auf der Hand

Angry Chicken, Skalitzer Str. 36, Kreuzberg

Dolores, Bayreuther Str. 36, Schöneberg

Risotto, Friedrichstr. 115, Mitte

Cô Cô – Banh Mi Deli, Rosenthaler Platz 2, Mitte

Yam Yam, Alte Schönhauser Str. 6, Mitte

  • Kunst und Kochen

Zagreus Projekt, Brunnenstr. 9a, Mitte

Cookies Cream, Friedrichstr. 148, Mitte

Reinstoff, Schlegelstr. 26c, Mitte