Politik

3. Selbstbau-Genossenschaft

Die Richters haben erlebt, wie die WestBerliner nach der Wende in Bussen nach Prenzlauer Berg kamen und erschüttert fragten: „Wie kann man denn da wohnen?“ 27 Jahre lang haben die Richters in Prenzlauer Berg gewohnt, ihre Kinder sind in dem Viertel groß geworden. 1998 meldet der Eigentümer zum ersten Mal Eigenbedarf an. Die Richters machen sich keine Sorgen, zehn Jahre gilt der Mieterschutz, so lange dürfen sie bleiben. Nach fünf Jahren kommen die ersten Interessenten, die ihre Wohnung kaufen wollen. Die Richters erklären trotzig:  „Das ist die schönste Wohnung in ganz Penzlberg, wir ziehen hier nie aus.“ Doch 2008, als der Mieterschutz ausläuft, verkauft der Eigentümer ihre Wohnung. „Wir hatten uns nicht um eine neue Wohnung gekümmert, wir hatten völlig verdrängt, dass wir raus müssen“, sagt Elisabeth Richter heute. „Und als es soweit war, hatten wir keine Chance, eine neue Wohnung in Prenzlauer Berg zu finden – alles war viel zu teuer.“
Ausgerechnet das junge Paar, das ihre Wohnung kaufte, erzählt den beiden von der alten Schule in Karlshorst, hinterm Ostkreuz, die eine kleine Genossenschaft in ein Mehrgenerationen-Haus umgebaut hat. Die Richters ­fahren hin, obwohl sie die Gegend nicht wirklich attraktiv finden. Günter Richter hat einmal nicht weit weg im 21. Stock eines Plattenbaus gelebt. Doch als sie vor der alten Schule stehen, sind sie sofort angetan, die Sanierungsarbeiten sind gerade abgeschlossen. Sie rufen bei der Selbstbau-Genossenschaft an. Es sind nur noch wenige Wohnungen frei, sie müssen sich bei den anderen Mietern bewerben – und bekommen den ­Zuschlag. Für die Richters spricht, dass sie schon Mitte 50 sind – im Mehrgenerationen-Haus wohnen zu dem Zeitpunkt viele junge Leute. Die beiden zahlen einmalig 300 Euro für Genossenschaftsanteile und von da an etwa sechs Euro Kaltmiete.
„Es war unser Lottogewinn“, erzählt Elisabeth Richter. Sie sitzt im Gemeinschaftsraum im ehemaligen Toilettenhäuschen der Schule, gemeinsam mit sechs der etwa 60 erwachsenen Bewohner der Schule. „Von dem Zusammenleben habe ich viel gelernt, zum Beispiel den Mut, älter zu werden.“ Ihr Mann Günter ergänzt: „Wir leben mit jungen Familien, älteren Paare, Alleinstehenden, Patchwork-Familien, lebenslangen Paaren, mit Menschen mit Behinderung und vielen, vielen Kinder.“ Natürlich sei das manchmal auch schwierig, aber vor allem sehr inspirierend.

Die Kinder sind aus dem Haus, Elisabeth Richter (rechts) nennt das Wohnprojekt in der alten Schule in Karlshorst einen „Lottogewinn“