Politik

5. Wohngruppe mit städtischem Eigentum

An einem grauen Novembertag im Jahr 2006 stehen etwa 20 Senioren vor einem grauen 70er-Jahre-Bau im Rollbergkiez in Neukölln. Sie überlegen, in das Haus einzuziehen. Eigentlich wollen sie gar nicht in Neukölln leben, in diesem vemeintlich kriminellen und verwahrlosten Viertel. Doch an diesem Novembertag sehen sie das graue Haus als ihre letzte Chance. Die Senioren wollen gemeinsam alt werden und haben die Gruppe AlWiG (Alleine Wohnen in Gemeinschaft) gegründet. Vier Jahre planen sie, mehr als 40 Häuser haben sie gesehen. Entweder sind sie nicht begeistert oder es war zu teuer. ­Gerade ist wieder ein Projekt geplatzt, wieder wurde es zu teuer. Einer aus der Gruppe, Hans-Joachim Hassemer, hat vor kurzem von dem Haus in der Falk­straße im Rollbergkiez gehört, das einer städtischen Wohnungsbaugesellschaft gehört. Dort seien viele, günstige Wohnungen frei. Die Senioren sehen das graue Haus und die Nachbarn und sind nicht begeistert. Trotzdem treffen sie die Verantwortlichen der Wohnungsbaugesellschaft. Die sind sofort begeistert von den Interessenten.
Ein Zehntel der Wohnungen steht gerade leer. Wenige Jahre zuvor ist die Mietpreisbindung gefallen, die Mieten wurden erhöht, viele arabische Großfamilien mussten ausziehen, keiner kam nach. Der Großteil der Gruppe zieht sich zurück. Nur vier Senioren machen weiter, unter anderem Hans-Joachim Hassemer. Die vier sehen immer noch die Chance: Hier können sie günstig innerhalb des S-Bahn-Rings leben. Und sie haben eine gute Verhandlungsbasis – ihr Gegenüber will, dass sie einziehen.
Tatsächlich können sie ihre Forderungen durchsetzen: Die städtische Wohnungsbaugesellschaft saniert die Wohnungen kostenlos, baut Balkone und sichert der Senioren-Gruppe das Erstzugriffsrecht zu, wenn eine Wohnung frei wird. Heute sind Hans-Joachim Hassemer und die anderen, alle um die 70, begeistert, im Rollbergkiez zu ­leben.
In der AlWiG-Gemeinschaftswohnung erzählt Hassender, dass die türkischen Nachbarn den Senioren eine Tischdecke geschenkt haben, mit der Aufschrift „für unsere geliebten Nachbarn“. Manche aus der Gruppe geben Nachbarskindern Nachhilfe, andere sind im Quartiersbeirat, ein paar im Mieterbeirat. Pro Quadratmeter zahlen sie 5,06 Euro kalt, die Miete ist auf 5,60 Euro kalt gedeckelt.


Ha-Jo Hassemer (hinten) und seine drei Mitstreiter aus der Seniorengruppe,
die sich ins Neuköllner Rollbergviertel traute – mit städtischer Unterstützung