Urban Gardening

Die Graswurzelbewegung

Es war die Schocknachricht der ­vergangenen Woche: Donald Trump steigt mit den USA aus dem Pariser Abkommen zum Klimaschutz aus. Er ist einer der wenigen Menschen, die noch nicht mitbekommen haben, dass das Klima sich gerade weltweit drastisch ändert, dass die Extremwetterphänomene zunehmen, dass, kurz gesagt, unsere Welt auf Messers Schneide steht. Es gibt immer mehr Hitze-­Exzesse, ewige Trockenheit, dann ­wieder ­heftige Gewitter und verheerende Niederschläge. Auch bei uns. Dabei sind wir Europäer in Sachen Klimawandel ja eher Täter als Opfer. In Berlin macht sich deshalb eine Gruppe von Menschen auf, Trumps zerstörerischer Politik etwas entgegenzusetzen. Mit Schaufeln und Blumenerde zum Beispiel. Sie retten die Welt in kleinen Schritten. Blatt für Blatt sozusagen. Wir zeigen, wie es geht. Zum Nachmachen und Weiterdenken


Texte: Nicole Opitz

Die Gärtnerei

Bienen und Paprika auf dem Friedhof

In der Nähe der Grabsteine von Erich Petsch und Schnittke Wernen sieht man auf dem Friedhof ­Jerusalem viele Grünstellen, am Wegrand eine Wanne, in der Hunde baden, und einen Gemeinschaftsgarten. Nach Friedhof sieht es nicht aus. „Das sind schon spezielle Bedingungen“, sagt Fete­wei Tarekegn, der in Äthiopien Agrarwirtschaft ­studiert hat und nun andere Geflüchtete sowie Neuköllner Nachbarn bei der Gartenarbeit anweist.

Unter den Blumen liegen die Toten: Die Gärtnerei
Foto: TD

Vor 50 Jahren wurde das letzte Grab errichtet. 50 Jahre später gab die Kirche den Westteil des Jerusalem-Friedhofs frei, damit hier gemeinsam gegärtnert werden kann.
Fetewei zeigt beim Reden mit der Hand über das vor ihm Entstandene und unterhält sich mit Helfern darüber, wann im Garten was angepflanzt wird. Fragt man ihn, was in Die Gärtnerei wächst, reißt er die Augen auf: „Die Frage sollte besser sein: Was wächst hier nicht?“

Um die Konzentration der Schwermetalle zu ­senken, hat das Team von Die Gärtnerei ­Stauden aufgestellt. „Man braucht Pflanzen, die nicht geern­tet werden, dann sinkt der Schwermetallwert“, erklärt Fetewei. „Das ist aber nur, um sicher zu gehen. Die Werte im Boden sind vollkommen in Ordnung, ein Gutachten hat das neulich bestätigt.“
Neben den Beeten der Gärtnerei steht nun auch ein Gewächshaus, das neueste Projekt. Eine Streuobstwiese soll hier entstehen, ein Café ist ebenfalls in Planung. Regelmäßig finden in Die Gärtnerei auch Workshops statt, zum Beispiel zum Thema Honig, denn hier gibt es auch ein Bienenvolk.

Jerusalem-Friedhof, Hermannstraße 84, Neukölln, facebook.com/pg/diegaertnerei.berlin


Good Bank

In diesem Restaurant wird Salat angebaut

Auch vor der Wirtschaft macht der Grüntrend keinen Halt: Das Startup Good Bank bietet als erstes Restaurant in Europa Gerichte mit Pflanzen, die vor Ort geerntet werden. Bisher wachsen in sechs großen Regalen Baby-Grünkohl sowie zwei Salanova-Salatsorten. Die Wurzeln hängen im Wasser, beleuchtet wird das Gemüse von LED-Lampen. Im gesamten Restaurant schimmert es deshalb rosa, dazu läuft Hip-Hop.

Das Licht kommt aus LED-Lampen, die Wurzeln hängen in Nährlösung
Foto: Fotos: Good Bank

Beim „vertical-farm-to-table“-Restaurant werden Kohl und Salate alle drei Tage geerntet. „Weil wir keine Erde benutzen, dürfen wir es allerdings nicht bio nennen“, erklärt Mirjam Brauer, Marketing-Assistentin. „Trotzdem hat es mehr Nährstoffe als vom konventionellen Ackerbau.“

Durch lange Lieferwege verlieren Pflanzen oft Nährstoffe. Das kann bei den hier geernteten Pflanzen nicht passieren. Besonders wichtig ist den Gründern Ema Paulin und Leandro Vergani, dass keine Gentechnik und Pestizide verwendet werden. Die anderen ­Produkte werden gekauft. „Wir achten darauf, dass die Zutaten hochwertig sind“, sagt Brauer. Dafür kooperieren sie auch mit anderen Startups: InFarm, einer weiteren ­vertical farm, sowie Wildcorn, das Popcorn herstellt, und anderen.

Fest steht, dass Good Bank niemals alles im Restaurant wachsen lassen wird: Tomaten beispielsweise würden zu viel Energie verschlingen. „Hier etwas Exotisches wachsen zu lassen, wäre natürlich toll. Unsere ­Vision sind Spezialitäten, die es sonst kaum zu erstehen gibt. Emas Traum sind essbare Blumen“, erzählt Brauer. Auch würde das Startup gerne neue Restaurants auf­machen. Die Berliner sind jedenfalls so weit: „Viele Neugierige kommen hier rein, aber auch die Nachbarschaft freut sich. Letztens kam eine ältere Dame, die über uns wohnt, mit einem ausgeschnittenen ­Zeitungsartikel zu uns“, sagt Brauer und lächelt.

Rosa-Luxemburg-Straße 5, Mitte, good-bank.de


Brunnengärten

Ein ganzer Kiez voll grüner Projekte

Sonntags wird hier getrödelt, unter der Woche gepflanzt und gesät: Im Brunnenviertel gibt es zahlreiche grüne Projekte, die nun zwei Jahre lang von Brunnengärten optimiert werden. Die Brunnengärten werden organisiert von einer Gruppe von Landschaftsarchitekten. Bettina Walther, die für die Projektkoordination zuständig ist, vernetzt bereits bestehende Projekte rund ums Stadtgrün. Und davon gibt es viele: „Die ­Leute ­haben Lust an der Arbeit im Garten, gerade ­Familien mit jungen Kindern freuen sich darüber.“

Im Brunnenviertel gibt es viele Anwohner, die gern in der Erde wühlen
Foto: gruppef

Walther leitet die einzelnen Projekte nicht, sie unterstützt und vernetzt sie. So zum Beispiel den Dachgarten in der Brunnenstraße 12. Der ist zwar nur für Anwohnende, doch zählen dazu rund 120 Parteien. Ähnlich ist es bei anderen Projekten: Zur Zeit entsteht im ­Hinterhof der Graunstraße 33 ein Gemeinschaftsgarten. Acht Hochbeete sollen hier von acht ­Familien gepflegt werden. Dass das funktioniert, zeigt auch ein Gemeinschaftsgarten des gleichen Hinterhofs: Hier kümmern sich mehrere Familien um Erdbeeren, ­Möhren, ­Erbsen, Tomaten, chinesischen Salat und ­allerlei anderes.

Da das Viertel zwar schon lange aktiv ist, aber sich viele Aktive untereinander nicht kennen, veranstaltet Walther monatliche Netzwerktreffen. Walther wird mit den Anwohnenden aber auch aktiv: So bastelten sie vor kurzem Seedbombs, kleine Päckchen mit Samen, die im Idealfall dort aufgehen, wo man sie hinwirft. „Gerade für die Kinder war das toll“, sagt Walther. Aber nicht nur junge Leute kümmern sich im Brunnenviertel um Pflanzen: „Ältere Menschen pflegen zwar eher Zier- als Nutzpflanzen“, weiß Walther, „aber auch die tragen ja zur Kühlung des Stadtklimas bei.“

verschiedene Standorte, Brunnenviertel, Mitte, gruppef.com


Helle Oase

Viel Arbeit, viel Spaß, viel Gemüse

Es gibt keinen Zaun. „Ein Zaun würde Interessierte bloß abschrecken“, erklärt Anna Juhnke, ­Koordinatorin und Gärtnerin in der Hellen Oase. „Und diejenigen, die ­randalieren wollen, werden sich von einem Zaun nicht abhalten lassen.“

Tomaten, Bohnen, rote Bete und so ziemlich alles, was schön aussieht und blüht
Foto: Lutz Märker

Der Hellersdorfer Gemeinschaftsgarten Helle Oase baut auf Hochbeeten Tomaten, Bohnen, Rote Bete und mehr an. „Ganz klassisch, was man so haben will“, sagt Juhnke. Aus 4.000 Quadratmetern Brache entstanden hier vor fünf Jahren Gemeinschaftsbeete, Hängematten-Lounge und ein Kinderspielbereich. „Der Verein Kids & Co, ein Projektträger der Hellen Oase, hat die Nachbarn gefragt, was sie haben wollen, und neben Streetsoccer-Anlage und Boule-Bahn war auch ein ­Garten dabei.“

Rund ein Dutzend Leute pflanzen, säen, pflücken und arbeiten mit Holz in der Hellen Oase. „Unser Alleinstellungsmerkmal ist, dass alles gemeinsam gemacht wird, wir entscheiden auch alles gemeinsam. Da ist so eine kleine Gruppe ganz praktisch, aber ein paar mehr ­Leute wären sinnvoll: Es ist echt viel Arbeit.“ Immer donnerstags um 15 Uhr treffen sich die Helfer, im Sommer oft auch dienstags oder am Wochenende. ­„Unsere Botschaft, dass wir niemanden ausgrenzen wollen, ist uns ganz wichtig. Es braucht auch niemand Geld in den Garten zu stecken, wir freuen uns über die Arbeitskraft und die Leidenschaft, die mitgebracht wird.“

Es werden auch Heilpflanzen und Heilkräuter angebaut, das Obst von der Streuobstwiese wird zu halt­baren Lebensmitteln wie Marmelade verarbeitet. „Wenn man sieht, wie etwas wächst und wie etwas selbst Angepflanztes schmeckt, das ist schon ganz nett. Es geht nicht nur darum, die Sachen zu zeigen und zu haben, sondern auch darum, dass man die Sachen konservieren kann und sie später nutzen kann.“

Tangermünder Str. 127-129, Hellersdorf, helle-oase.de


Panke 2015

Ein Bächlein wird renaturiert

„Darf ich vorstellen: die Panke. Der Bach, an dem ich lebe. Nicht gerade der beste Wohnort, aber bekannt. Die Berliner haben sogar den Bezirk Pankow nach ihr benannt“, eine Sprechblase verrät, was die ­Libelle denkt, die über den Bildschirm schwirrt. Im Computer­spiel „gerade war gestern“ kann man Sandinseln verteilen, dabei lernt man etwas über Gewässerbette und Hochwasser. Das Spiel „Gerade war gestern“ wurde vom Umweltministerium entwickelt, es ist Teil des Projekts Panke 2015, das im Jahr 2007 startete.

Die Panke ist zwar klein, aber ein einzigartiges Ökosystem
Foto: Alexander Hüsing/ Flickr/ CC BY 2.0

Bürger, Interessenverbände und Behörden konzipierten gemeinsam die Zukunft für das Gewässer Panke. Dazu gehörten Beteiligungswerkstätten für Anwohner, Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit. Doch zehn Jahre danach schreibt Leonie Goll von der Senatsverwaltung für Umwelt, Verkehr und Klimaschutz: „Die Maßnahmen zur ökologischen Entwicklung der Panke befinden sich derzeit im Planfeststellungsverfahren. Hier sollten wir den Planfeststellungsbeschluss abwarten, um Aussagen zu den konkreten Maßnahmen machen zu können.“Auf der Homepage der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung steht, dass das Verfahren zur Planfeststellung seit 2012 läuft.

Panke, quer durch Berlin, Mündung in Mitte,  panke.info


Mehr zum Mitgärtnern:

Prinzessinengärten

Seit Sommer 2009 am Moritzplatz

Prinzenstraße 35–38, Kreuzberg

Allmende-Kontor

Seit April 2011 als Pilotprojekt auf dem Feld

Tempelhofer Feld, Eingang Oderstraße, Neukölln

Himmelbeet

Seit 2012, allerdings nicht wie geplant auf einem Dach, sondern ebenerdig

Ruheplatzstraße 12, Wedding