Politik

Hauptstadt zu verkaufen!

Berlin hat kein Geld, aber jede Menge Grundstücke und Immobilien. Aktuell feilschen Investoren um die besten Objekte – ein Milliardenspiel, bei dem es um die Zukunft dieser Stadt geht

Es ist ein verräterischer Satz, der am 25. April im Hauptausschuss des Abgeordnetenhauses fällt. An diesem Tag sollen die Pläne des Senats zur Neuausrichtung der Liegenschaftspolitik vorgestellt werden. Nun wird um eine Vertagung gebeten. „Es sei zwar nicht die Quadratur des Kreises, aber sehr schwierig, eine gemeinsame Position zu finden“, heißt es. Doch in Wahrheit scheint es genau dies zu sein: eine Quadratur des Kreises. Es geht um die Frage, wie die Stadt mit ihren Grundstücken umgehen will, es ist ein Balanceakt zwischen finanziellen und sozialen Interessen. Diese Frage wurde schon öfter vertagt, eigentlich wird sie das seit Jahren. Zwischen Bauboom und Mietenproblematik hat sie aber noch einmal an Dringlichkeit gewonnen. Sollen beim Verkauf landeseigener Grundstücke maximale Erlöse erzielt werden, um den Haushalt zu konsolidieren? Oder sollen andere stadtentwicklungspolitische Kriterien stärker berücksichtigt werden?

Man könnte auch nach der Stadtrendite fragen, der parteilose Finanzsenator Ulrich Nußbaum hat das in einer Stellungnahme auf den Punkt gebracht: „Ich will wissen: Was ist der Gegenwert für Berlin, wenn wir beim Verkauf auf den besten Preis verzichten?“

Hauptakteur bei dem Verkauf landeseigener Grundstücke ist der Liegenschaftsfonds. Er wurde 2001 gegründet, seitdem wurden über 5.000 Kaufverträge abgeschlossen und mehr als zwei Milliarden Euro erwirtschaftet, davon flossen allein im vergangenen Jahr 152 Millionen Euro in den Landeshaushalt. Der Verkauf läuft über Versteigerung, Ausschreibung oder Direktvergabe. Das Angebot reicht von kleinen Wohnungen bis zu den besten Lagen der Stadt.

Der Liegenschaftsfonds könnte ein effektives Instrument zur Steuerung einer nachhaltigen Stadtentwicklung sein, doch Kritiker werfen ihm eine Politik des Höchstpreisprinzips vor. Ein Vorwurf, den Fondschef Holger Lippmann von sich weist: „Wir sind nur Dienstleister, die Regeln macht der Senat.“ Und der zeigt sich zögerlich.
„Seit zwei Jahren warten wir darauf, dass Beschlüsse zur Neuausrichtung der Liegenschaftspolitk umgesetzt werden“, klagt Florian Schmidt.

Der Stadtsoziologe ist Mitinitiator von „Stadt Neudenken“, einer Initiative, die sich im Juli vergangenen Jahres nach einem Konflikt um die Vergabe beim Blumengroßmarkt gründete:  „Das war wie ein Schlag ins Gesicht und der letzte Auslöser, sich zu organisieren.“ Das Bündnis aus Architekten, Wissenschaftlern und Künstlern sieht die soziale und kulturelle Vielfalt Berlins in Gefahr und hat ein Positionspapier formuliert, in dem ein sofortiges Moratorium für Liegenschaftsverkäufe gefordert wird.

Denn so lange sich der neue Senat auf keine Strategie einigt, wird weiter nach der üblichen Praxis vorgegangen. Dabei werden sogar eigene Koalitionsbeschlüsse missachtet, beispielsweise zur neuen Mietenpolitik, die zugunsten günstigen Wohnraums auf maximale Erlöse verzichten soll. Doch während noch über genaue Kriterien diskutiert wird, bringt der Liegenschaftsfonds wiederholt geeignete Grundstücke auf den Markt, nach dem Höchstpreisprinzip. Treibende Kraft ist offenbar Senator Nußbaum, der das politische Vakuum nutzt, um noch einmal zu kassieren und damit seine Geringschätzung für eine neue Liegenschaftspolitik verdeutlicht.

Es ist ein Zustand, mit dem sich nicht alle abfinden wollen. Am 5. Mai findet ein Aktionstag statt, veranstaltet von Stadt Neudenken und 20 weiteren Organisationen. Es ist ein Aufruf zum zivilgesellschaftlichen Dialog, an dem auch Vertreter aller Fraktionen des Abgeordnetenhauses teilnehmen sollen. Damit soll die zerfahrene Debatte vorangetrieben werden, so die Hoffnung. Denn ewig wird sich die Frage nicht vertagen lassen, wie eine neue Liegenschaftspolitik aussehen soll. Dafür geht es um zu viel. Die folgenden Beispiele sind nur die prominentesten von hunderten Grundstücken und Immobilien.

1. Tempelhofer Feld

Tempelhofer Feld
Foto: pixabay.com

Für viele Berliner ist das Gelände des ehemaligen Flughafens nur die Tempelhofer Freiheit. Sie haben es sich rasch angeeignet, nachdem der Flughafen ohne Anschlussplan seine Pforten schloss. Eine Freiheit, die gerade im improvisatorischen Charakter des Areals besteht, dessen Größe mit über 300 Hektar fast der des New Yorker Central Parks entspricht. Umso kritischer wird jede Nutzungsabsicht betrachtet, die diesen Zustand bedrohen könnte. Dabei handelt es sich um eines der größten innerstädtischen Entwicklungsräume weltweit. Entsprechend vielfältig sind die Potenziale – und die Risiken.

Seit dem 1. September 2009 ist das Land Berlin alleiniger Eigentümer und schien lange nicht zu wissen, was es mit diesem Schatz anfangen soll. Die derzeitigen Planungen des Senats sehen vor, die Weite der Parklandschaft möglichst zu erhalten und trotzdem den Bau neuer Quartiere an den Rändern zu ermöglichen. So soll entlang der Stadtautobahn ein sogenannter „Clean Technology Park für innovative Unternehmen“ errichtet werden. PR-Sprache, die kaschiert, dass es noch kein ausgereiftes Konzept gibt. Fortgeschrittener sind die Pläne für ein Wohn- und Bildungsquartier am Tempelhofer Damm mit dem Neubau der Zentral- und Landesbibliothek. Auch an der Oderstraße in Neukölln soll ein Wohngebiet entstehen, allerdings befinden sich die Planungen hierfür noch im Anfangsstadium.

Der Entwurf für die neue Parklandschaft soll ab Herbst 2013 realisiert werden. In Anlehnung an den alten Badesee Schlangenpfuhl sieht er auch einen vier Hektar großen See vor. 2017 findet auf dem Areal die Internationale Gartenausstellung (IGA), statt. Was der Senat „ein Schlüsselprojekt“ nennt, ist für andere wie die Bürgerinitiative „100% Tempelhofer Feld“ ein Ärgernis mit Zerstörunspotenzial. Die Aktivisten kritisieren grundsätzlich die Nachnutzungspläne des Senats und wollen diese mittels eines Volksentscheids verhindern. Für die Freiheit des Feldes, das sie in seinem jetzigen Zustand belassen wollen. Doch da haben sie die Rechnung ohne den Finanzsenator gemacht.

Wer profitiert: Immobilienbesitzer in der Nachbarschaft zum Park
Wer geht leer aus: Zwischennutzer, die den neuen Plänen im Weg stehen

2. Haus der Statistik

Zwischen 1968 bis 1970 entstand das dreiteilige Betonungetüm in der Otto-Braun-Straße am Alexanderplatz. Im neun- bis elfgeschossigen Komplex waren in der DDR die Büros der Staatlichen Zentralverwaltung für Statistik, im Erdgeschoss gab es Geschäfte wie die Suhler Jagdhütte oder der Natascha-Laden mit „Erzeugnissen aus der UdSSR“.

Nach der Wiedervereinigung war es der Berliner Dienstsitz des Bundesbeauftragten für Stasi-Unterlagen sowie die Berliner Außenstelle des Statistischen Bundesamtes. Beide Behörden zogen bis 2008 aus. Während in der Nachbarschaft ins alte „Haus des Reisens“ der Week-End-Club einzog, fehlt für das Haus der Statistik jede Verwendung.

Nach einem Wettbewerb zur Neugestaltung des Areals, den im Januar 2010 das Architekturbüro Augustin und Franken aus Berlin gewann, soll das Haus abgerissen werden. Laut Helmut Kästner, dem Projektleiter der Senatsverwaltung für die Planungen am Alexanderplatz, ist der Abriss mit dem Argument begründet, das „Gebäude entspricht nicht mehr den Anforderungen an ein modernes Bürogebäude“.

Der Liegenschaftsfonds agiert im Auftrag der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben. Das Bieterverfahren soll in der zweiten Jahreshälfte zur Expo-Real-Messe in München starten. Auf dem 31.000 Quadratmeter großen Grundstück können laut Liegenschaftsfonds nach dem Abriss Wohnungen, Büros, Hotels und Geschäfte entstehen.

Wer profitiert: noch offen, in jedem Fall eine Abrissfirma
Wer geht leer aus: noch offen

3. Viktoriaspeicher

Baupolitischer Skandal! Bankrott Berliner Stadtentwicklungspolitik! Die Vorwürfe waren heftig, als im Dezember bekannt wurde, dass das Grundstück um den Viktoriaspeicher per Optionsvertrag an einen Investor veräußert wurde. Es geht um ein 41 Hektar großes Areal zwischen Spree und Köpenicker Straße in Kreuzberg, mit dem 1910 gebauten Viktoriaspeicher im Zentrum, der wegen Industriearchitektur unter Denkmalschutz steht. Es gehörte der landeseigenen Hafen- und Lagerhausgesellschaft (Behala). Ein bislang unbekannter Investor hatte sich im Oktober 2011 unbemerkt von der Öffentlichkeit die Flächen gesichert.  Der Speicher liegt auf einer der Flächen von Mediaspree, jenem umstrittenen Investorenprojekt. Die Pläne des Käufers sind bisher nicht bekannt. Erst muss er sich das Baurecht verschaffen, das kann bis zu zwei Jahre dauern. Spätestens dann müssen die jetzigen Mieter, 25 kleinere Firmen, umziehen.

Wer profitiert: die Behala und damit das Land Berlin, der die Hafengesellschaft zu 100 Prozent gehört
Wer geht leer aus: vermutlich die jetzigen Mieter

4. Checkpoint Charlie

Checkpoint Charlie
Foto: pixabay.com

Ein legendärer Ort in zentraler Lage und dennoch von nur bedingter Attraktivität. Wer sich an den Checkpoint Charlie begibt, erlebt zuvorderst eine Kalte-Krieg-Folklore. Und so überlassen die Berliner die Gegend den Touristen, die sich zwischen Nippesverkäufern und Wurstbuden mit Uniformierten fotografieren lassen.

Nun werden zwei Grundstücke zwangsversteigert, die direkt am ehemaligen Grenzübergang gelegen sind, Verkehrswert: 14,3 Millionen Euro. Die Frage der Bebauung wird Aufschluss darüber geben können, ob der Tristesse Einhalt geboten werden kann. Der insolvente irische Investor, dem die Grundstücke noch gehören, hatte ursprünglich geplant, neben Geschäftshäusern ein „Museum des Kalten Krieges“ zu errichten.

Kritiker wie Monika Grütters (CDU) bezeichnen die bisherige Haltung des Berliner Senats als „allzu nonchalant“. Indirekt regt die Vorsitzende des Kulturausschusses im Bundestag an, dass Bund und Berlin die Grundstücke selber kaufen sollen und steht mit dieser Meinung nicht alleine. Nach der Zwangsversteigerung am 10. Mai wird sich zeigen: würdiges Andenken oder noch mehr Erinnerungskitsch? Die gerade angelaufene Zwischennutzung des Geländes an der Friedrichstraße 205 dürfte Skeptiker nicht optimistisch stimmen. Der sogennante „Freedom Park“ hat sich ins Elend gut eingefügt.

Wer profitiert: Investoren, die sich kurzfristig auf ein Bieterverfahren einlassen können
Wer geht leer aus: noch nicht abzusehen

5. Blumengroßmarkt

Es war nicht abzusehen, dass sich ausgerechnet hier der Konflikt um die Berliner Liegenschaftspolitik besonders entfachen würde: an den fünf Grundstücken am ehemaligen Blumengroßmarkt, zwischen Friedrichstraße und Jüdischem Museum. Auf der einen Seite gab es den erklärten Willen des Bezirks Friedrichhain-Kreuzberg, das 12,7 Hektar große Areal – Verkehrswert: 10,7 Millionen Euro – nicht in einem bedingungslosen Bieterverfahren an den Meistbietenden zu verkaufen. Auf der anderen Seite den Auftrag an ein Bürgerbeteiligungsverfahren, bestehend aus Unternehmern, Anwohnern und Kulturschaffenden, ein Konzept für ein Kunst- und Kreativquartier zu entwickeln, aus dem heraus Vergabekriterien für potenzielle Interessenten entwickelt werden sollten.

Doch dann wurden im Juli 2011 die Flächen vom Liegenschaftsfonds ohne Rücksprache und vor Ablauf des Verfahrens zum Verkauf ausgeschrieben. Planungsgruppe und Bezirk fühlten sich vor den Kopf gestoßen. Umso mehr, als der Verkauf unter dem Label „Checkpoint Art“ betrieben wurde. Die Kunst werde für Renditezwecke instrumentalisiert, lautete der Vorwurf. 70 Repräsentanten der Berliner Architektur- und Kunstszene protestierten in einem offenen Brief, und es formierte sich die Initiative „Stadt Neudenken“.

Der Protest zeigte Wirkung. Die insgesamt elf Interessenten müssen sich nun an einem Kriterienkatalog orientieren, der nachträglich aufgenommen wurde. Entscheidend für die endgültige Vergabe im Sommer wird damit nur noch zu 40 Prozent der Preis sein und zu 60 Prozent das Nutzungsprogramm.

Wer profitiert: alle, die sich für ein dialogisches Vergabeverfahren eingesetzt haben
Wer geht leer aus: Investoren, die auf einen bedingungslosen Bieterwettbewerb spekuliert haben

6. Alte Münze

Früher wurde hier Geld gemacht. Die Prägeanstalt produzierte hier 70 Jahre lang Münzgeld: Reichsmark, Mark der DDR, DM, zuletzt Euro. 2006 zog die Staatliche Münze nach Reinickendorf. Auf den 2.000 Quadratmetern am Molkenmarkt in Mitte finden heute unterschiedlichste Veranstaltungen statt – Firmenfeiern, Weihnachtsbasars oder Fetisch-Partys, bei denen die Gäste die Tresore im Keller für Sexspiele nutzen.

Die Immobilie ist laut Liegenschaftsfonds 5,17 Millionen Euro wert. 2008 wollte sie der Projektentwickler Frankonia Eurobau kaufen und insgesamt 52 Millionen Euro für Büros und Luxuswohnungen investieren. In der Finanzkrise zog er zurück. Die derzeitigen Zwischenmieter Pascal Johanssen und Katja Kleiss wollen das Gebäude kaufen und legten Anfang 2011 ein kulturelles Nutzungskonzept – ihr Angebot: acht Millionen Euro. Im Herbst war der Vertrag unterschriftsreif, doch dann sollte plötzlich das Gebäude per Direktvergabe für 6,1 Millionen Euro an den Investor Nicolas Berggruen gehen. Der will dort ein „Kreativquartier“ errichten wollte – mit Ateliers, Wohnungen und Büros. Auch das Musikstudio von Herbert Grönemeyer sollte einziehen.

Finanzsenator Ulrich Nußbaum stoppte das Projekt Ende März. Bis der Senat eine neue Liegenschaftspolitik verabschiedet hat, hat er alle Direktvergaben auf Eis gelegt. Da es offenbar höhere Gebote gibt, sah Nußbaum nicht ein, dass „die Berliner mit ihren Steuergeldern einen internationalen Investor mit vier Millionen Euro subventionieren“.

Wer profitiert: noch weitestgehend offen, aber vermutlich nur einer
Wer geht leer aus: vermutlich Nicolas Berggruen und Herbert Grönemeyer

7. An der Michaelbrücke

Das 18.672 Quadratmeter große Grundstück liegt am Friedrichshainer Spreeufer und somit mitten im umstrittenen Mediaspree-Sektor. Hier lag die heute schon legendäre Bar25. Das Areal an der Holzmarktstraße 19-30 gehört der Berliner Stadtreinigung und soll jetzt „zum Zwecke der Bebauung veräußert werden“.

Die Macher der ehemaligen Bar25 und ihres Nachfolgers Kater Holzig bewerben sich um die Fläche mit der Idee eines kleinteiligen Kreativdorfs mit öffentlichem Park. Realistisch ist das nicht. Laut Liegenschaftsfonds bestehen ein Bebauungsplan und ein Vertrag zwischen der Entwicklungsgesellschaft Spreeurban und dem Land Berlin.
Das Areal wird durch eine Bahntrasse diagonal durchschnitten. In den Bahnbögen ist teilweise Gewerbe angesiedelt, zudem gibt es ein Autohaus – im Prospekt wirbt der Liegenschaftsfonds mit der sechsmonatigen Kündigungsfrist. Ein anderes, eingeschossiges Gewerbegebäude kann auf Kosten des Käufers abgerissen werden.

Das bedingungsfreie Bieterverfahren läuft seit dem 4. April bis zum 31. Mai. Im Prospekt des Liegenschaftsfonds finden sich bereits detaillierte Pläne von Spreeurban, wie sechs Häuserkomplexe sich auf die beiden Teilflächen verteilen könnten. Ein 82 Meter hohes Haus ist geplant. Insgesamt entstünde eine Geschossfläche von 82.650 Quadratmetern für Büros, Einzelhandel, Hotel und Gastronomie sowie Wohnen. Der Haken: Das Land Berlin musste zuletzt einräumen, dass die Nachfrage nach Büros weit niedriger ist als die nach Wohnraum.

Wer profitiert: vermutlich der Zahlungskräftigste, der Spreeurban-Investor
Wer geht leer aus: eventuell die Clubszene und die Ideengeber des Kreativdorfs