»Haltet die Stadt dreckig«

Berlin Music Days

Steffen Hack, Leiter der Berlin Music Days, über Friedhofsruhe in Prenzlauer Berg, Versäumnisse des Senats und
wie Berlins Clubkultur trotzdem überleben könnte

Herr Hack, neben den Berlin Music Days gibt es auch die Berlin Music Week. Was ist der Unterschied? 
Die Berlin Music Days sind aus der Szene hervorgegangen, anders als die Music Week, die vom Wirtschaftssenat mit angestoßen wurde. Die Music Days sind unabhängig und sie konzentrieren sich auf elektronische Musik und die dazugehörige Kultur, sei es Mode, Musik oder Softwarebastelei. Die Vermischung der Szenen, wie sie auf der Music Week propagiert wird, die gibt es in der Realität überhaupt nicht. Musikszenen definieren sich doch immer auch über Abgrenzung, sonst verlieren sie ihre Kanten.

Die Berlin Music Days umfassen einen Rave mit 15.000 Menschen, einen Branchentreff, ungefähr 160 Clubnächte, Technik-Workshops für Musikinteressierte. Da haben Sie Berlins Tanzwut ein ganz schönes Denkmal gesetzt.
Wir wollten den Spirit von Berlintechno in der Welt präsentieren. In Berlin hat sich eine einmalige Partykultur entwickelt, hier ist daraus eine Wirtschaftskraft entstanden und trotzdem gibt es noch Menschen, die jedes Wochenende Boxen in leergeräumte Hallen schleppen, um ihr eigenes Ding zu machen. Wir wollen zeigen, wie hier eine Branche entstanden ist, die mittlerweile mit Softwareschmieden wie Ableton, Native Instruments oder dem Musikhändler Beatport, nicht nur im Clubleben viele Arbeitsplätze sichert. Wir wollen zeigen, wir sind auch noch da und lassen uns nicht einfach verdrängen.

Ist die Clubkultur denn gefährdet? In keiner anderen Stadt floriert sie dermaßen.
Ja, aber sie hat wenig bis keinen Rückhalt in der Politik. Gerade wird vom Finanzamt 2 die Mehrwertsteuer für Clubs von sieben auf 19 Prozent heraufgesetzt. Und anstatt Flächen für alternative Kultur zu erhalten, wird die Stadt verkauft. Immer mehr Menschen wohnen in eigenem Eigentum, und dann heißt es plötzlich: Wir haben keinen Bock auf den Krach. In Prenzlauer Berg haben wir die Entwicklung gesehen, wie Clubs aus der Innenstadt verdrängt werden. Wir werden immer irgendwo eine Nische finden, in der wir feiern können. Aber der Charakter der Stadt wird sich verändern.

Inwiefern?
Die SPD würde am liebsten die komplette Bevölkerung in der Innenstadt austauschen. Sie will Menschen, die sich die hohen Mieten leisten können. Und die wollen es gerne ruhig und sauber haben. Gleichzeitig entstehen dann Amüsierghettos am Stadtrand. Dabei macht doch gerade die Vielfalt in der Innenstadt Berlin so lebenswert. Ich würde sagen: Haltet die Stadt dreckig!

Haben genervte Anwohner nicht auch Rechte?
Natürlich, aber das Zusammenleben könnte problemlos funktionieren, wenn die Stadtplaner einsehen würden, dass ein Club neben einem Wohnhaus eben nicht funktioniert. Sie könnten wirklich etwas feinfühliger bei den Genehmigungen vorgehen. Sonst bleiben wir immer nur Zwischennutzer, die den Kiez aufwerten, bis jemand nebenan einzieht.

Sind die Clubs an ihrer Vertreibung nicht selbst schuld? Immerhin entspringt ein guter Teil der Faszination für Berlin der Clubkultur.
Das ist richtig, wir sind in dem Prozess drin. Aber gar nichts mehr zu tun, ist auch keine Lösung. BerMuDa ist unsere Möglichkeit, zu zeigen, was verlorengehen kann. Ein Schaufenster der Berliner Kultur, die gerade verdrängt wird.

Warum ziehen die Clubs, die aus Prenzlauer Berg weichen mussten, alle nach Kreuzberg?
Weil Bezirksbürgermeister Franz Schulz von den Grünen auf unserer Seite ist, der will auch keine Friedhofsruhe in der Stadt haben.

Die will der Senat doch auch nicht: In den Koalitionsverhandlungen ist ein „Musik-Board Berlin“ im Gespräch, das unter anderem Clubs fördern soll.
Bei dieser Art von Förderung wird bedacht, wer Beziehungen hat. Die, die es wirklich brauchen, gehen leer aus. Mit dieser Kulturoffensive soll nur davon abgelenkt werden, wie in Berlin Kultur vernichtet wird.

 

 

 

 

Geschichte der Verdrängung

Clubs entstehen, Clubs vergehen. Doch in letzter Zeit passiert vor allem zweiteres. zitty zeigt, welche Läden ihre ursprüngliche Spielstätten bereits verloren haben

 

2002 Maria, Mühlenst./Pariser Kommune

2003 Ostgut, Mühlenstraße 26

2004 Casino, Mühlenstraße 26-30

2005 Tresor, Leipziger Straße 126-128

2005 Cookies, Charlottenstr. 44

2006 Deep, Prenzlauer Allee 246

2007 Rotor Club, Dircksenstr. 96

2008 Alte Weberei, Alt Stralau 4

2008 2Be Club, Ziegelstr. 23

2009 Rechenzentrum, Nalepastr. 10

2010 Knaack Club, Greifswalder Str. 224

2010 Bar 25, Holzmarktstr. 25

2010 Magnet Club, Greifswalder Str. 212

2011 Villa, Landsberger Allee 54

2011 Rodeo Club, Auguststr. 5

2011 Tacheles, Oranienburger Str. 54-56a

2011 Maria/Club ADS, A. d. Schillingbrücke

2011 Kiki Blofeld, Köpenicker Str. 48