Titel

Im Kollektiv tanzen

Rock im Lido

Hier geht es ums Tanzen, ums Abspacken, ums völlige Ausrasten. Zwei Mädchen machen zu dem Song „Arschloch“ von den Ärzten einen Wettbewerb, wer sich bescheuerter bewegt. Arme und Beine fliegen so unkontrolliert durch die Luft, dass eine von ihnen das Gleichgewicht verliert. Am Ende liegen beide prustend mit hochroten Köpfen auf dem Boden. Der Träger eines ausgewaschenen Beatles-T-Shirts spielt Luftgitarre zu „Lust for Life“ von Iggy Pop und schüttelt seine langen Haare in Headbanging-Manier. Die Zeit scheint stillgestanden zu sein. Das Lido ist eine Insel des Rock in einem Meer von Elektro. Eva-Lena Lörzer

Eintritt: 6 Euro
Sieht gut aus nach: Muss nicht gut aussehen
Wer das mag, mag auch: Indie

Lido, Kreuzberg, Cuvrystraße 7, U Schlesisches Tor, Rock AG: Fr 23 Uhr, www.lido-berlin.de
Magnet Club, Kreuzberg, Falckensteinstr. 48, U Schlesisches Tor, Karrera Klub Do 23 Uhr, www.magnet-club.de


Techno im Watergate

Es ist elf Uhr vormittags. Die Nacht ist vorbei, die Sonne deckt die Spuren des Exzesses auf. Im Watergate befinden noch etwa 50 Gäste, vor einigen Stunden waren es noch Hunderte. Die Übriggebliebenen sehen fertig aus, aber müde wirken sie nicht. Sie sind jetzt so eine Art Elite. Sieger. Die, die den Kampf gegen den Schlaf am erfolgreichsten ausgefochten haben. Für sie ist das Ende der Party ein ganz besonderer Moment. Tatjana, Mitte 30, die bei einer Bookingagentur arbeitet, beginnt erst jetzt zu Tanzen. „Vorher ist es mir zu voll und hektisch, da kann ich mich nicht fallen lassen“, sagt sie. Auch Daniel, Ende 20 und Stammgast im Watergate, liebt die letzten Stunden: „Am Ende feiert eine eingeschworene Gemeinschaft. Man lächelt sich zu und motiviert die anderen weiterzumachen, nicht aufzugeben.“

Kieran Behan, DJ und Model, legt „Be thankful” von Onur Engin auf. Eine käsige House-Hymne aus dem letzten Jahr. Selbst die, die müde am Rand saßen, springen nun auf. Ausnahmslos alle tanzen, selbst die Barleute nutzen die Gelegenheit. Getrunken wird sowieso nicht mehr viel. Eine Flasche mit Wasser wird auf der Tanzfläche herumgereicht. Das muss reichen. Plötzlich ist es wie auf einer Privatparty. Die meisten scheinen sich zu kennen. Ein Mann um die 30 nutzt die gesamte Tanzfläche, hüpft von einer Ecke zur anderen. Zwei junge Frauen üben sich im Paartanz, eher unbeholfen. Hauptsache Spaß.

Für Kieran haben die vergangenen Stunden im Club etwas Magisches. Der letzte DJ ist dafür verantwortlich, die Emotionen der Nacht aufzufangen, die Leute in einer ganz besonderen Stimmung zu entlassen. Beseelt, beschwingt, glücklich. Die letzte Platte ist vielleicht die wichtigste der ganzen Nacht. Kieran spielt „Soft“ von Pillow Talk mit der Textzeile: „Game over, give in and let it ride …“   Martin Hildebrandt

Eintritt: 12 Euro
Sieht gut aus bis: 4 Uhr früh
Wer das mag, mag auch: Dubstep, Drum’n’Bass

Watergate, Kreuzberg, Falckensteinstr. 49, Mi, Fr, Sa ab 24 Uhr, www.water-gate.de


Modern Dance im Marameo

Kelvin O’Hardy poltert herein. Mit großen Schritten schreitet er in Richtung Stereoanlage. Die ersten Takte, tribalartige Klänge, sind das Signal aufzustehen, den Staub des Tages abzuklopfen und in die Musik einzutauchen. Rhythmus durchflutet die Körper. Die längst verinnerlichten Abfolgen gleichen einer Meditation, die Tänzer sind ein Meer von synchronen Bewegungen. Wenn jemand redet, dann O’Hardy. Knapp, fast barsch. Auf seine Frage „Any questions?“, antwortet die Gruppe mit einem kollektiven Schweigen. Reden will keiner, einfach machen. Nachdem die Tänzer sich warm geschüttelt, gelaufen, gesprungen und gedreht haben, folgen Technikübungen, das Vokabellernen des Tanzens. Es geht um größtmögliche Präzision. Aber anders als Ballett erlaubt Modern Dance auch locker zu lassen, Impulse zu verfolgen, ungewohnte Bewegungen auszuprobieren. „Not bad“ ist O’Hardys Beurteilung.

Die letzten 20 Minuten, die Choreographie. Sie wurde über Wochen erarbeitet, zu einem treibenden elektronischen Stück, durch das sich die Gruppe mit teils fließenden, teils abgehackten Bewegungen tanzt, bis jeder Zentimeter des Körpers weiß, was er zu tun hat. Das kann kein Yoga, kein Bauch-Beine-Po-Kurs, kein Pilates, kein Joggen. Das ist Einssein mit der Musik. „Not bad at all“, sagt O’Hardy. Und die Tänzer wischen sich glücklich den Schweiß von der Stirn. Caroline Schaper

Eintritt: Probestunde 8 Euro
Sieht gut aus nach: einem halben Jahr wöchentlichen Trainings
Wer das mag, mag auch: Jazz Dance, zeitgenössischen Tanz

Marameo, Mitte, Wallstraße 32, U Märkisches Museum oder Heinrich-Heine-Straße, Tel 28 23 455, Anfänger mit Vorkenntnissen Mi 18.45-19.45 Uhr, www.marameo.de

Tanzfabrik, Kreuzberg, Möckernstraße 68, U + S Yorckstraße, weitere Studios in der Uferstraße 23, Wedding, U Pankstraße, Tel. 786 58 61, www.tanzfabrik-berlin.de

Dock 11, Prenzlauer Berg, Kastanienallee 79, U Eberswalder Straße, Tel. 4481222, www.dock11-berlin.de

X-Step Trainingsschule, Kreuzberg, Tempelhofer Ufer 36, U Gleisdreieck, Tel. 261 69 25, www.x-step.de


Jumpstyle am Alexanderplatz

Sie treffen sich am Alexanderplatz, zwischen Fernsehturm, Rotem Rathaus, Marienkirche und Neptunbrunnen. Sie nennen sich „Jumper“, „Hardstyler“, „Jumpstyler“, „Hardcore-Grabber“, je nachdem welche Rave-Variante sie genau tanzen. Sie tragen Käppis, weite Pullover, weite Hosen, grelle Farben. Sie haben Spitznamen, die genauso klingen, wie ihre Tanzstile: Flashy, Speedo, Energy. Wenn sie loslegen, oft synchron, dann hat das gleichzeitig etwas von russischer Volkstanzgruppe und Playmobil-Männchen auf Speed. Die Punks, die sich auch dort herumtreiben, lachen über sie. Aber das macht Ihnen nichts aus. Lenz Koppelstätter

Eintritt: Frei
Sieht gut aus nach: Einem halben Jahr täglichen Trainings vor dem Spiegel
Wer das mag, mag auch: Tectonic oder Krocha

Diverse Parks und Jugendclubs, Anleitung: Auf Youtube nach Tanz der Wahl suchen


Illegales Open Air auf der Modersohnbrücke

Junge Menschen, mit Glitzer im Gesicht und in verrückten Kostümen, stehen auf der Modersohnbrücke und warten. Ein Kinderwagen wird herangefahren. Ein Bügelbrett daneben ausgeklappt, darauf ein Laptop postiert. Der Kinderwagen erwacht zum Leben. Elektrizität knistert, LEDs leuchten auf, ein Brummen ertönt. Zwei Rollstühle mit Boxentürmen darauf stecken die Tanzfläche ab. Dann setzt der Bass ein. Alle reißen ihre Arme in die Luft. Die Menge johlt und hüpft. Die Brücke schwankt im Takt. Schultern zucken im Beat vor und zurück. Hände fliegen den Höhen hinterher, Beine drücken die Bässe in den Boden. Ab und an springt ein Tänzer aus der Menge, wie ein Fisch, der nach Luft schnappt. Eine Konfettikanone feuert in den Sonnenuntergangshimmel. Ein Mädchen reitet wie ein Cowboy auf einem der Boxentürme und schreit „Yee-haw!“. Ein Zug rauscht unter der Brücke durch, der Fahrer hupt und winkt. Nach drei Stunden kommt die Polizei. Bis zu 300 Euro haben diese unangemeldeten Events den Veranstaltern schon an Strafen eingebracht. Die Musik geht aus und die Menge zerstreut sich schnell. Die Letzten sammeln den Müll ein und fegen sogar. Die Brücke wirkt, als wäre nichts gewesen. Martin Schwarzbeck

Eintritt: Frei
Sieht gut aus sobald: der Bass einsetzt
Wer das mag, mag auch: Technodemos

Friedrichshain, Modersohnbrücke, Ankündigung per Mundpropaganda und in einschlägigen Foren