Wieder was gelernt

Die Spielplatzhölle

Jannis von Oy fragt sich, wieso man heutzutage alt Vater auf dem Spielplatz nicht mal mehr entspannt ein Buch lesen kann.

Es ist so herrlich. Ich sitze in der Sonne auf der Bank. Neben mir steht ein noch dampfender Kaffee, in der Hand halte ich eine Zeitung, in der ich zu lesen beginne. Ab und an winke ich meinem Kind zu, das vergnügt im Sand spielt und mit einem strahlenden Lächeln auf den elterlichen Gruß reagiert, ansonsten aber mit sich selbst beschäftigt ist.
So stellte ich mir den Alltag eines Vaters auf dem Spielplatz vor. Und das war nicht nur pure Imagination. Ich habe diese Eltern gesehen, die auf Spielplätzen entspannt ihre Lektüre bewältigen. Ich schwöre! Das war irgendwann, bevor ich Vater geworden bin.

Nun habe ich sechs Jahre Spielplatzerfahrung hinter mir und frage mich, wo diese Menschen geblieben sind. Ich bin auf einem Kreuzberger Spielplatz und blicke mich um, die Nanosekunde nutzend, in der meine Tochter eine Kletterspinne erklimmt und mal nicht um Aufmerksamkeit bettelt. Der sich mir bietende Anblick erinnert an den rechten Innenflügel von Hieron­ymus Boschs Triptychon „Garten der Lüste“, auf dem sich die Harmonie der Mitteltafel in den Lärm und das Chaos der mittelalterlichen Unterwelt auflöst.

Ich sehe einen älteren Vater, der sich den Rücken verknackst, als er sein Kind in die Luft hebt. Eltern, die mit ihren Zwillingen Fangen spielen und beschimpft werden, sobald sie einen von ihnen erwischen. Ich sehe weinende Kinder, die ein Eis wollen. Heulende Kinder, die Durst haben. Plärrende Kinder, die nicht mehr wissen, was ihnen fehlt. Ich sehe aber auch glückliche Kinder, die anderen mit der Schaufel gegen den Kopf hauen und dabei zufrieden glucksen.
Meine Tochter klettert derweil friedlich weiter. Ich riskiere den Griff zur Zeitung. Doch schon meldet sie sich wieder. „Papa“, ruft sie triumphierend. Tatsächlich hat sie es bis zur Spitze geschafft, wo sie nun mit zitternden Beinen steht, zehn Meter über dem Boden. „Ich traue mich nicht runter!“ Und ich helfe ihr gerne. Denn es kommt die Zeit, in der ich mich danach sehne, dass sie mich vom Zeitunglesen abhält. Es ist nicht mehr lange hin.      Jannis von Oy